Gefrorene Seelen
von einer fast unerträglichen Süße.
»He, wo willst du denn hin?«, rief ihm McLeod hinterher. »Ich bin noch nicht fertig mit Lamentieren. Ich habe noch nicht mal richtig angefangen.«
*
Catherine Cardinal kam den Krankenhausgang herauf und streckte ihrem Mann die Arme entgegen. Ihr Haar war noch feucht von der Dusche. Sie hielt ihn fest in den Armen, und Cardinal atmete den Duft ihres Shampoos ein. »Wie geht’s meinem Mädchen?«, fragte Cardinal sanft.
Sie saßen wieder auf der Couch im Lichtraum. Catherine machte einen so viel besseren Eindruck, dass Cardinal Hoffnung schöpfte. Sie sah ihm in die Augen und machte nur hin und wieder mit der Hand eine nervöse Bewegung. Aber es war nicht mehr dieses obsessive Kreisen wie am Anfang. Sie öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch kein Laut kam ihr über die Lippen. Dann wandte sie sich ab, und Cardinal wartete, eine Hand auf ihrem Knie, bis seine Frau ausgeweint hatte. Schließlich hielt Catherine den Atem an und sagte: »Ich dachte schon, du hättest die Scheidung eingereicht.«
Cardinal schüttelte den Kopf und lächelte. »So leicht wirst du mich nicht los.«
»Oh doch. Wenn nicht dieses Mal, dann das nächste oder übernächste Mal. Das Schlimme daran ist, dass dir kein Mensch einen Vorwurf machen würde.«
»Ich verlasse dich nicht, Catherine. Mach dir darüber keine Sorgen.«
»Kelly kann jetzt auf sich allein aufpassen, sie würde es dir nicht verübeln, wenn du gingest. Das weißt du. Und nicht mal ich könnte es dir verübeln.«
»Hörst du jetzt auf damit? Ich hab doch gesagt, ich verlasse dich nicht.«
»Na, dann solltest du vielleicht ein Verhältnis mit einer anderen Frau anfangen. Ich bin sicher, dass du in deinem Beruf viele willigejunge Frauen triffst. Bandel ruhig mit einer an, aber sag mir nichts davon, abgemacht? Ich will es nicht wissen. Vielleicht mit einer deiner Kolleginnen. Aber verlieb dich nicht in sie.«
Cardinal dachte an Lise Delorme. Seine nüchterne, geradlinige Kollegin, die möglicherweise eine Ermittlung gegen ihn führte. Delorme mit der hübschen Figur, wie Jerry Commanda es ausdrückte. »Ich will kein Verhältnis mit einer anderen Frau«, sagte Cardinal zu Catherine. »Ich will dich.«
»Mein Gott – tust du denn nie etwas Unrechtes? Du hast dich immer im Griff, du verlierst nie die Geduld. Wie kannst du bloß hoffen, so einen verkorksten Charakter wie mich zu verstehen? Warum machst du das bloß? Du bist ja fast schon ein Heiliger.«
»Liebling, ich bitte dich. Das ist das erste Mal, dass du einen Heiligen aus mir machen willst.«
Catherine wusste selbstverständlich nichts von dem Geld. Cardinal hatte es vor Jahren an sich genommen, als seine Frau zum ersten Mal mit einer schweren Depression im Krankenhaus lag. Anderthalb Jahre lang hatte sie dort in einem Meer anderer verlorener Seelen zugebracht. Dann hatten sich ihre Eltern eingeschaltet und ihn jeden zweiten Tag aus den Vereinigten Staaten angerufen. Sie gaben ihm das Gefühl, ein mieser Ehemann zu sein, und am Ende hatte er der Versuchung nachgegeben. Eine Zeit lang hatte sich Cardinal eingeredet, das sei der Grund gewesen, weshalb er es getan hatte, die Krankheit seiner Frau habe ihn gebrochen. Doch der Katholik in ihm, vom Polizisten ganz zu schweigen, konnte eine solche Erklärung nicht hinnehmen. Er ließ für sich keine Entschuldigung gelten.
»Das kommt alle Tage vor, dass Männer ihre Frauen verlassen«, fuhr Catherine fort. »Kein anderer würde das auf sich nehmen, was du dir zumutest.«
»Die Leute nehmen noch viel schwerere Dinge auf sich und leben damit«, entgegnete Cardinal. Ich sollte ihr von dem Geld erzählen und ihr beweisen, dass sie ein besserer Mensch ist als ich. Ihr Verstand verwirrt sich zwar hin und wieder, aber sie hat nie etwasUnrechtes getan. Doch die Vorstellung, wie sie ihn dann anschauen würde, hielt Cardinal davon ab. »Sieh mal, ich habe dir etwas mitgebracht. Das kannst du am Tag deiner Entlassung tragen.«
Catherine faltete das Seidenpapier so behutsam auseinander, als würde sie eine Wunde reinigen. Es war ein Barett in hellem Burgunderrot, eine Farbe, die Catherine gern trug. Sie setzte es sich keck aufs Ohr. »Wie sehe ich aus? Wie eine Pfadfinderin?«
»Wie jemand, den ich heiraten möchte.«
Das brachte sie wieder zum Weinen.
»Ich hole uns eine Cola«, sagte Cardinal und ging den Gang hinunter zum Getränkeautomaten. Das Gerät war eines von den alten Modellen, bei denen Sirup und kohlensäurehaltiges
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