Gefrorene Seelen
studiert. Nur drei Scheine hat man mir angerechnet. Sieben Jahre Medizinstudium auf drei Scheine reduziert – was für eine Verschwendung an Zeit und Mühe. Ich wäre bestimmt ein guter Chirurg geworden, aber auf dieser Welt gibt es keine Gerechtigkeit.«
»Ich habe das Gefühl, dass ich eines Tages etwas Besonderes leisten könnte, Mr. Quereshi.« Etwas ganz Besonderes. Am Abend zuvor hatte sie in ihr Tagebuch geschrieben:
Bald werde ich so weit sein, selbst zu töten. Mit dem Schnösel im Keller würde ich leicht fertig, aber vielleicht überlasse ich ihn doch lieber Eric. Ich glaube, ich würde lieber mit einer Frau anfangen. Ich kann mir auch schon eine Kandidatin vorstellen
.
»Sie wären gut beraten, jetzt ein Studium anzufangen, Miss Soames. So viele Gelegenheiten werden sich nicht mehr bieten. In dieser Welt diskriminiert man nicht nur Menschen dunkler Hautfarbe, sondern auch Frauen wie Sie.«
Frauen wie Sie. Was der Paki damit andeuten wollte, wusste sie nur zu gut. Unattraktive Frauen, Frauen mit kaputtem Gesicht. Er musste gar nichts weiter sagen, sein überlegener Ton verriet alles. Den Bastard würde sie nicht mal einen Hund operieren lassen, geschweige denn einen Menschen. Quereshi gab ihr eine Packung Tabletten, die Edie in eine Tüte für die gebrechliche alteDame steckte, die vor dem Tresen wartete. »Das macht neunundzwanzigfünfzig.«
»Neunundzwanzigfünfzig! Vor einem Monat hat es noch fünfundzwanzig Dollar gekostet.« Die alte Frau schwankte ein bisschen, als hätte der Preis ihren Gleichgewichtssinn durcheinandergebracht. »Neunundzwanzigfünfzig ist mir zu teuer. Ich habe nur eine kleine Rente. Sonst bleibt mir nicht genug für Katzenfutter.«
»Dann sollten Sie es vielleicht nicht kaufen.« Oder vielleicht sollten Sie die Katze ertränken, mir ist das völlig wurst.
»Aber ich brauche die Tabletten für mein Herz. Ich kann sie nicht einfach absetzen. Mir bleibt keine Wahl, nicht wahr?«
»Ich weiß es nicht. Das müssen Sie entscheiden.«
»Leider habe ich keine Wahl. Wie viel kostet es doch gleich?«
»Neunundzwanzigfünfzig.«
»Das ist ein Anstieg von fast zwanzig Prozent. Wie können ein paar Tabletten im Laufe eines Monats um zwanzig Prozent teurer werden, das würde ich gerne mal wissen.«
»Ich kann es Ihnen nicht erklären. Der Preis ist eben gestiegen.«
Die Frau legte drei Zehndollarscheine hin, die nach Talkumpuder rochen. Edie gab ihr das Wechselgeld. »Danke für Ihr Vertrauen in Pharma-City. Achten Sie beim Hinausgehen auf den Verkehr.«
»Was haben Sie gesagt?«
»Ich sagte, achten Sie auf den Verkehr draußen. Auf dem Parkplatz ist heute viel los.«
Quereshi wollte ihr etwas sagen, das spürte sie. Er schlich sich an sie heran und bereitete sich innerlich auf eine kleine Predigt vor. Dabei ging es ihn gar nichts an; er war bloß zum Pillenzählen hier. Kundenpolitik gehörte nicht zu seinen Aufgaben.
»Eine Frage, Miss Soames.«
Na bitte, da haben wir’s. Edie ordnete das Geld in der Kasse, die Banknoten nach oben.
»Haben Sie ein Hobby oder eine Beschäftigung, die Sie mit Leidenschaft betreiben? Musik? Briefmarkensammeln?«
»Ja, ich habe ein Hobby.« Leute abmurksen, hätte sie am liebsten gesagt, nur um den Ausdruck auf seiner blöden braunen Visage zu sehen. »Bestimmte Dinge, die ich gern tue.«
»Das freut mich für Sie, Miss Soames. Im Umgang mit Kunden werden Sie keinen Erfolg haben. Ihnen fehlt einfach das Mitgefühl.«
»Wozu auch? Mitgefühl ist doch was für Schwächlinge.«
»Für Schwächlinge? Ich vermute, Sie haben etwas von diesem schrecklichen deutschen Philosophen gelesen. Die arme alte Frau hat nur eine schmale Rente. Wenn die Preise steigen, bekommt sie das schmerzhaft zu spüren. Können Sie ihr nicht wenigstens ein paar nette Worte sagen?«
»Ich will nicht darüber sprechen.«
»Sie vergeben sich doch nichts, wenn Sie zum Beispiel sagen: ›Ja, es ist eine Schande‹, oder so etwas in der Art.«
Sie wurden von einer dunkelhaarigen Dame unterbrochen, die sechs Packungen Henna kaufte. Das war der Beginn des abendlichen Kundenansturms. Ein anderer kaufte fast einen Jahresvorrat an Gaskartuschen. An einem Tag decken sich die Leute mit Kohletabletten ein, am anderen mit Laxativen, dachte Edie. Wir halten sie in Trab. Eine junge Frau kaufte drei verschiedene Mittel gegen Schnupfen, außerdem Shampoo, Nagellack und eine Pflegespülung. Eine kraushaarige Frau kaufte ein Mittel, um glatte Haare zu bekommen, und ein Mädchen mit
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