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Gefrorene Seelen

Gefrorene Seelen

Titel: Gefrorene Seelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giles Blunt
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Abteilungen des psychiatrischen Krankenhauses geschlossen worden waren. Das dortige Leichenschauhaus diente gleichzeitig den Gerichtsmedizinern als Arbeitsraum. Aber Cardinal war nicht hergekommen, um Barnhouse zu sprechen.
    »Es geht ihr heute sehr viel besser«, teilte ihm die Stationsschwester mit. »Sie schläft jetzt nachts, und sie nimmt ihre Medikamente. Da ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis sie sich wieder gefangen hat – so sehe ich das jedenfalls. Dr. Singleton macht in einer halben Stunde seine Visite, falls Sie ihn sprechen wollen.«
    »Nein, ist nicht nötig. Wo ist sie denn?«
    »Im Lichtraum. Wenn Sie durch die Doppeltür gehen, ist es …«
    »Danke, ich kenne den Weg.«
    Cardinal hatte erwartet, sie wieder in ihrem zu großen Frotteemantel zu sehen, doch diesmal trug Catherine Cardinal die Jeans und den roten Pullover, die er für sie eingepackt hatte. Sie saß mit krummem Rücken in einem Stuhl am Fenster, das Kinn in eine Hand gestützt, und starrte hinaus in die Schneelandschaft mit dem Birkenwäldchen am Rand des Krankenhausgeländes.
    »Hallo, mein Schatz. Ich war draußen im Reservat. Da dachte ich, auf dem Rückweg guck ich mal bei dir rein.«
    Sie sah ihn nicht an. Wenn die Krankheit sie im Griff hatte, war Blickkontakt für sie eine Qual. »Ich nehme nicht an, dass du gekommen bist, um mich hier herauszuholen.«
    »Nicht jetzt sofort, Liebling. Wir müssen erst mit dem Arzt darüber reden.« Als er ihr näher kam, sah er, dass die Linie ihres Lippenstifts unsicher gezogen und ihr Lidschatten auf einem Auge dickerals auf dem anderen war. Catherine Cardinal war eine hübsche, anziehende Frau, wenn es ihr gut ging: braunes Haar, große sanfte Augen und ein lautloses Lachen, das Cardinal so gern aus ihr hervorlockte. Ich bringe sie nicht oft genug zum Lachen, dachte er. Ich sollte mehr Freude in ihr Leben bringen. Doch bei ihrem letzten Rückfall in die Krankheit war er ins Dezernat für Eigentumsdelikte versetzt worden und selbst die meiste Zeit über in trister Stimmung. Kein guter Gesellschafter.
    »Gut siehst du heute aus, Catherine. Ich glaube, diesmal wirst du nicht so lange hierbleiben.«
    Ihre rechte Hand war immer in Bewegung, mit dem Zeigefinger malte sie ständig Kreise auf die Armlehne der Couch. »Ich weiß, dass ich dir bloß ein Klotz am Bein bin. Ich hätte mich schon längst umgebracht, aber …« Sie brach ab, den starren Blick immer noch nach draußen gerichtet. »Aber das heißt nicht, dass ich nicht klar im Kopf bin. Es ist nicht so, als wäre ich … Scheiße, ich habe den Faden verloren.«
    Der Fluch ebenso wie die obsessiv kreisende Bewegung der Hand waren kein gutes Zeichen. Catherine fluchte nie, wenn sie gesund war.
    »Das ist schon jämmerlich«, sagte sie bitter. »Ich kann nicht mal einen Satz zu Ende bringen.« Das lag an den Medikamenten, sie häckselten ihre Gedanken in kleine Stücke. Vielleicht war das der Grund, weshalb sie überhaupt wirkten: Sie blockierten den Fluss der Gedanken und stoppten die immer wiederkehrenden zwanghaften Vorstellungen. Dennoch spürte Cardinal, wie der Zorn in seiner Frau aufstieg und alles dunkel färbte wie eine Arterie, die unter Wasser geöffnet worden war. Nun machte auch die andere Hand die gleiche obsessive Kreisbewegung.
    »Kelly geht’s prima«, sagte er aufgeräumt. »Scheint praktisch in ihren Malereiprofessor verliebt zu sein. Sie hat ihren Besuch zu Hause genossen.«
    Catherine starrte auf den Fußboden und nickte langsam. Bloß keine positiven Bemerkungen, danke.
    »Dir geht es bestimmt bald besser«, sagte Cardinal sanft. »Ich wollte dich einfach sehen, ganz spontan. Ich dachte, wir könnten ein bisschen plaudern. Ich wollte dich nicht beunruhigen.«
    Er sah, wie Catherines Gedanken sich verdüsterten. Sie ließ den Kopf hängen und bedeckte mit einer Hand die Augen wie mit einem Schild.
    »Catherine, Liebling, hör mir zu. Dir geht es bestimmt bald besser. Ich weiß, dass es jetzt gerade nicht so den Anschein hat. Es sieht so aus, als ob nichts mehr richtig ins Lot kommen würde, aber wir haben das schon früher durchgestanden, und wir werden es auch dieses Mal durchstehen.«
    Die Leute denken, Depression sei Traurigkeit, und für die milderen Erscheinungsformen mag das auch zutreffen. Doch ein tränenreicher Abschied oder der Schmerz über einen Verlust hatten nichts mit den massiven, verheerenden Attacken gemein, die über Catherine hereinbrachen. »Es ist so, als ob ich überschwemmt werde«, hatte sie

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