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Gefrorene Seelen

Gefrorene Seelen

Titel: Gefrorene Seelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giles Blunt
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konnte er kein Geschäft mehr betreten, ohne dass er mit Fragen nach Katie Pine und Billy LaBelle bestürmt wurde. Jeder hatte eine Idee, jeder hatte einen Tipp.
    Das hatte selbstverständlich sein Gutes: An Freiwilligen fehlte es nicht. Im Fall LaBelle hatte die örtliche Pfadfindergruppe eine Woche lang den Wald hinter dem Flughafen abgesucht. Doch es gab auch Nachteile. Auf dem Revier klingelte ständig das Telefon, und die kleine Polizeitruppe wurde mit falschen Hinweisen geradezu überschwemmt – aber jeder einzelnen Spur musste früher oder später nachgegangen werden. Die Ermittlungsakten schwollen durch immer neue Hinweise an – Hinweise, die wie tausend falsche Landkarten nur auf Holzwege führten.
    Nun saß Cardinal vor dem Kamin, eine Kanne dampfenden Kaffee auf dem Stövchen, und forstete die Akten durch, in der Hoffnung, aus dem Wust von Hinweisen Tatsachen herauszufiltern. Aus den neu gesichteten Tatsachen wollte er eine plausible Idee, einen Ansatz zu einer Theorie ableiten – denn bis jetzt hatte er keine.
    Die Luftwaffe hatte ihnen freundlicherweise ein Zelt überlassen, das ganz Windigo Island überdeckte, sowie zwei Gebläse, die früher zum Heizen der Hangars für das in der Nähe stationierte Jagdgeschwader dienten. Wie Archäologen waren Cardinal undseine Kollegen auf den Knien herumgerutscht und hatten den Schnee Quadratmeter um Quadratmeter abgetragen. Das hatte sie fast einen ganzen Tag gekostet. Dann hatten sie mit Hilfe der Gebläse ganz allmählich den Schnee zum Schmelzen gebracht und den triefend nassen Teppich aus Kiefernnadeln und Sand und den darunter liegenden Fels abgesucht. Bierdosen, Zigarettenstummel, Angelhaken, Plastikreste – vor ihnen lag ein Haufen Abfall. Nichts davon stand im Zusammenhang mit dem Verbrechen.
    Das Schloss des Gatters wies keine Fingerabdrücke auf.
    Und dies war die erste niederschmetternde Tatsache, der Cardinal sich beugen musste: Die mühselige Suche hatte keine einzige Spur ergeben.
    *
    Katie Pine war am 12. September verschwunden. Sie hatte an diesem Tag die Schule besucht und war gleich nach der letzten Stunde mit zwei Freundinnen losgezogen. Die Akte begann mit der Vermisstenmeldung – ein Anruf ihrer Mutter Dorothy Pine –, an die sich Protokolle anschlossen: Cardinals Gespräch mit Sue Couchie, McLeods Gespräch mit dem anderen Mädchen. Die drei Freundinnen waren auf einen Rummel gegangen, der hinter Memorial Gardens seine Zelte aufgeschlagen hatte. Cardinal zählte das zu den Fakten.
    Die Mädchen blieben nicht lange. Zuletzt soll Katie vor einer Wurfbude gestanden und Bälle geworfen haben, weil sie hoffte, einen großen Plüschpanda zu gewinnen, der ihr so sehr gefallen hatte. Er war fast so groß wie Katie, die mit ihren dreizehn Jahren wie eine Elfjährige aussah.
    Sue und das andere Mädchen waren zu einem dunklen Zelt gegangen, wo sie sich von Madame Rosa aus der Hand lesen ließen. Als sie wieder zur Wurfbude zurückkehrten, war Katie nicht mehr da. Sie suchten sie überall, konnten sie nicht finden und kamen zu dem Schluss, dass sie wohl allein nach Hause gegangen sein musste. Das war gegen sechs Uhr.
    Als Nächstes in der Akte kam Cardinals Gespräch mit dem jungen Mann von der Wurfbude. Nein, sie habe den Bären nicht gewonnen, sie sei allein gewesen, und er habe sie nicht weggehen sehen. Niemand hatte sie gesehen. Wie vom Erdboden verschwunden.
    Nach Tausenden von Interviews und Tausenden von Faltblättern wusste Cardinal immer noch nichts Neues über ihr Verschwinden. Sie war früher zweimal von zu Hause weggelaufen und bei Verwandten in Mattawa gelandet. Die Gewaltausbrüche ihres betrunkenen Vaters hatten sie fortgetrieben, und seit seinem Tod war sie nicht mehr weggelaufen. Das hatte Dyson nicht hören wollen.
    Cardinal stand auf, zog sich einen Morgenmantel über seine Kleidung, schürte das Feuer im Holzofen und setzte sich wieder. Es war erst fünf Uhr nachmittags, dennoch wurde es schon so dunkel, dass er die Leselampe einschalten musste. Der Metallschalter fühlte sich kalt an.
    Er nahm sich die Akte LaBelle vor. William Alexander LaBelle: zwölf Jahre, einssechsundvierzig groß, vierzig Kilo – ein kleines Kind. Die Adresse in Cedargrove deutete auf obere Mittelschicht. Katholisches Elternhaus, konfessionelle Schule. Eltern und Verwandte kamen als Tatverdächtige nicht in Betracht. Billy war ebenfalls schon von zu Hause weggelaufen, allerdings nur einmal. Für Dyson reichte das jedoch. »Sieh mal einer an. Billy

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