Gefrorene Seelen
Würgemale und kein nachweisbares Zungenbein. Rufen Sie die Pathologin an, wenn Sie wollen, aber erwürgt, nein, bei den vorhandenenGliedmaßen können wir keine solche Behauptung aufstellen. Jedenfalls ist das Mädchen auf die eine oder andere Art erstickt.«
»Weitere Befunde?«
»Fragen Sie Setevic vom Labor. In seinem Bericht ist von einer Textilfaser die Rede, rot, dreilappig. Kein Blut, keine Haare – außer denen des Mädchens.«
»Keine weiteren Erkenntnisse über die Faser?«
»Reden Sie mit Setevic. Oh, hier ist noch eine Notiz. In ihrer Jeanstasche hat man irgend so ein Armband gefunden.«
»Am Tag, als Katie verschwand, trug sie ein Armband mit Anhängern.«
»Richtig. Hier steht etwas von einem Armband. Sie bekommen es zusammen mit den anderen Sachen. Ist Detective Delorme in der Nähe?«
»Ja.«
»Ich habe diese Frau zwar nie gesehen, vermute aber, dass sie attraktiv aussieht. Liegt ihr Sex-Appeal im roten Bereich?«
»Ja, das kann man wohl sagen.« Delorme las gerade ein Fax und war so hochkonzentriert, dass sich die Stirn zwischen ihren Augenbrauen kräuselte. Cardinal versuchte vergeblich sich einzureden, dass dies nicht anziehend wirkte. »Wollen Sie ihre Telefonnummer, Len?«
»Das nun wieder nicht. Ihre Art deutet auf jemanden, der es gewohnt ist, das zu bekommen, was er will, sonst nichts. Geben Sie mir die Dame doch einfach mal.«
Cardinal gab seiner Kollegin den Hörer in die Hand. Sie schloss die Augen und hörte zu. Nach und nach rötete sich die Haut über ihren Wangenknochen. Es war, als beobachte man das Steigen der Quecksilbersäule in einem Thermometer. Dann legte sie den Hörer sanft auf die Gabel. »Offensichtlich können manche Männer nicht gut mit Stress umgehen.«
»Ich hab schon verstanden, Kollegin«, schrie McLeod wieder quer durch den Raum.
10
D er Andrang zu Katie Pines Begräbnis war größer, als jedermann erwartet hätte. Fünfhundert Menschen hatten sich vor St. Boniface, einer bescheidenen Kirche aus rotem Backstein, in der Sumner Street versammelt, um vor dem kleinen, geschlossenen Sarg zu beten. Presse und Fernsehen waren ebenfalls massiv präsent. Delorme erkannte Roger Gwynn und Nick Stoltz vom
Lode
. Nick Stoltz hatte sie als Teenagerin einmal in große Verlegenheit gebracht, weil er sie eng umschlungen mit ihrem Freund auf einer Bank im Park des Teacher-College fotografiert hatte. Für ihn und die meisten Leser des
Lode
war es nur ein stimmungsvolles Herbstbild, aber für Delormes Eltern war es der Beweis, dass ihre Tochter den Abend nicht mit ihren Freundinnen von der katholischen Jungschar verbracht hatte. Sie bekam zwei Wochen Ausgehverbot – eine Strafe, die ihrem wankelmütigen Freund Zeit gab, mit ihrer schärfsten Rivalin anzubandeln. Seither mussten Fotografen in Delormes privater Vorstellung von der Hölle an einem Ort schmachten, der kaum weniger heiß war als der, den sie Vergewaltigern vorbehielt.
Die Fernsehjournalistin aus Sudbury war da, begleitet von einer Kamerafrau und einem mindestens drei Zentner schweren Tonassistenten. Delorme hatte draußen auch einen Übertragungswagen der CBC gesehen, und zwei Bänke weiter oben einen Reporter von
The Globe and Mail
, der einen Artikel über Delorme geschrieben hatte, nachdem sie den zweimal wiedergewählten Bürgermeister von Algonquin Bay hinter Gitter gebracht hatte. Zwar passiert es nicht alle Tage, dass ein Kind auf einer einsamen Insel inmitten eines zugefrorenen Sees ermordet aufgefunden wird, dennoch hätte Delorme dem Ereignis keine landesweite Bedeutung beigemessen.
Der Mann vom
Globe
hatte seine hungrigen Reporteraugen schon auf Dorothy Pine gerichtet, die, vom Kummer niedergedrückt,die Eingangstreppe heraufkam. Der Reporter bewegte sich auf sie zu, aber Jerry Commanda gelang es, sich zwischen ihn und die trauernde Mutter zu schieben. Als der Gang wieder frei war, hatte sich der Reporter in eine Bank zurückgezogen, weil ihm offenbar plötzliche Magenkrämpfe zu schaffen machten.
Die Polizei war nicht nur gekommen, um einem ermordeten Mädchen die letzte Ehre zu erweisen, sondern spekulierte auch darauf, dass der Mörder vielleicht bei der Trauerfeier anwesend sein könnte. Delorme saß in der letzten Bank, einem guten Beobachtungsposten, um heimliche Zuschauer zu erspähen. Cardinal stand vorn am äußeren Rand. Er wirkte düster in seinem schwarzen Anzug, aber – wie Delorme zugeben musste – nicht unattraktiv in seiner etwas heruntergekommenen Art. Dunkle Ringe unter den
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