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Gefrorene Seelen

Gefrorene Seelen

Titel: Gefrorene Seelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giles Blunt
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Ausreißern herumschlagen musste, als sie verdient hatte. Cardinal hatte einen eigenen Ordner mit den Vermisstenmeldungen aus anderen Polizeidirektionen angelegt: Per Fax waren im vergangenen Jahr Fälle aus Ottawa, von der Küste, ja sogar aus Vancouver hereingekommen.
    Er rief die diensthabende Sergeantin, die pferdegesichtige, gutmütige Mary Flower, im Revier an und bat sie um eine statistische Aufstellung. Das war zwar eigentlich nicht ihre Aufgabe, aber er wusste, dass sie eine Schwäche für ihn hatte und es erledigen würde. Sie rief zurück, als er sich gerade ausgezogen hatte, um unter die Dusche zu gehen. Nackt und mit einer Gänsehaut klemmte er sich den Hörer in die Halsbeuge und schlüpfte in seinen Bademantel.
    »Eine Aufstellung aus den letzten zehn Jahren«, sagte Mary mit ihrer durchdringenden näselnden Stimme, bei der sich die Farbe von den Wänden löste. »Das wollten Sie doch. Sind Sie soweit?«
    Die folgenden fünf Minuten kritzelte er Zahlen auf einen Notizblock. Dann hängte er auf und wählte die Nummer seiner Kollegin Delorme. Es dauerte eine Weile, ehe sich die andere Seite meldete. »Hallo, Delorme«, sagte er, als sie schließlich abnahm. »Sind Sie noch wach?«
    »Ich bin wach, John.« Eine Lüge. Wäre sie richtig wach, hätte sie ihn nicht beim Vornamen genannt.
    »Raten Sie mal, wie viele Vermisste – Jugendliche – wir im vorletzten Jahr hatten?«
    »Einschließlich derjenigen von außerhalb? Keine Ahnung. Sieben? Acht?«
    »Zwölf. Ein ganzes Dutzend. Und im Jahr davor waren es zehn.Im Jahr davor acht. Im Jahr davor zehn. Und davor wieder zehn. Sehen Sie den Trend?«
    »Zehn pro Jahr, mehr oder weniger.«
    »Die Schwankung liegt bei plus minus zwei. Zehn pro Jahr.«
    Delormes Stimme war plötzlich klarer und schärfer. »Aber Sie haben mich doch wohl wegen der Zahl für vergangenes Jahr angerufen, stimmt’s?«
    »Vergangenes Jahr stieg die Zahl der vermissten Jugendlichen – wieder einschließlich aller auswärtigen Fälle – auf vierzehn.«
    Delorme pfiff leise durch die Zähne.
    »Ich sehe das so. Ein Typ bringt ein Kind um, Katie Pine, und merkt, dass ihn das anmacht. Es gibt ihm den größten Kick seines Lebens. Er schnappt sich ein anderes Kind, Billy LaBelle, und macht es noch mal. Jetzt ist er in Schwung, aber diesmal sucht die ganze Stadt nach den vermissten Kindern. Er merkt das – und fängt an, sich für ältere Kinder zu interessieren. Kinder von außerhalb. Er weiß, dass es wegen eines Siebzehn- oder Achtzehnjährigen nicht den gleichen Aufschrei geben wird.«
    »Vor allem wenn sie nicht von hier sind.«
    »Sie sollten sich das mal ansehen – ungelöste Fälle, die über die ganze Landkarte verstreut sind. Drei aus Toronto, aber alle anderen aus den entferntesten Winkeln.«
    »Haben Sie die Akten bei sich zu Hause? Ich komme gleich rüber.«
    »Nein, nein, wir können das auf dem Revier machen.«
    Eine ganz kurze Pause, darauf Delorme: »Um Himmels willen, Cardinal, Sie glauben doch wohl nicht, dass ich immer noch ein interner Schnüffler bin? Glauben Sie, ich ermittle gegen Sie? Sagen Sie die Wahrheit.«
    »Oh, nein. Das ist es nicht«, beteuerte er und dachte dabei, oh Gott, was bist du doch für ein Lügner. »Aber ich bin nun einmal verheiratet, Lise, und Sie sind so wahnsinnig attraktiv. Ich könnte für nichts garantieren.«
    Lange Pause. Dann legte Delorme auf.

9
    S ie hatten die Akten über drei Schreibtische ausgebreitet und gingen damit Ian McLeod gehörig auf die Nerven. McLeod war ein rothaariger, knorriger Kripomann mit zu viel Muskeln und ausgeprägtem Verfolgungswahn. Im Augenblick versuchte er verzweifelt, den Rückstand aufzuholen, in den er wegen des Falles Corriveau – eines Doppelmords in einer Jagdhütte – geraten war. Er war ein guter Ermittler, keine Frage, aber selbst in Bestform hatte er ein grobes Mundwerk und einen launischen Charakter. »Leute, könntet ihr wohl etwas leiser sein? Ich meine, müsst ihr denn gleich das ganze Revier zusammenbrüllen?«
    »Nanu, so empfindlich heute?«, sagte Cardinal. »Hast du an einem Seminar über den neuen Mann teilgenommen?«
    »Ich versuche alles auf die Reihe zu bringen, was nicht Corriveau ist. Also etwas ganz Normales. Ob ihr’s glaubt oder nicht, ich hatte noch ein anderes Leben, ehe die Brüder Corriveau auf die Idee kamen, ihren Scheißschwiegervater und dessen miese Partnerin umzubringen. Und ich habe noch immer ein anderes Leben – nur erinnere ich mich nicht mehr daran, wie es

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