Gefrorene Seelen
Ermittlung‹, das kenne ich.«
»Außerdem muss ich Sie bitten, diese Gummihandschuhe zu tragen, solange Sie damit hantieren. Die Kassette lag in …«
Eine fahle Hand gebot ihm Stille. »Sagen Sie nichts weiter. Ich bin von größerem Nutzen für Sie, wenn ich alles ganz unvoreingenommen anhöre. Geben Sie mir die Handschuhe.«
Er zog die Handschuhe an. Mit geschützten Fingern betastete er die Kassette, drehte sie in verschiedene Richtungen, hielt inne und fühlte, so als ob seine Finger kleine selbstständige Lebewesen wären. »Die Löschschutzzungen sind verschlossen. Was auch auf dem Band ist, derjenige, der die Aufnahme gemacht hat, wollte verhindern, dass es überspielt wird. Kassetten sind äußerlich fast identisch – welches Fabrikat ist das hier?«
»Denon. Dreißig Minuten. Chromdioxid. Ein gängiger Bandtyp, wie wir wissen, und überall erhältlich.«
»Allerdings nicht in wirklich kleinen Städten und Siedlungen, gewiss aber in Orten wie Algonquin Bay. Das ist kein billiges Produkt und kostet fünfmal mehr als die preisgünstigen Angebote, vielleicht sogar noch mehr.«
»Würden Sie es als ein Produkt für Profis bezeichnen?«
»Ein professioneller Tontechniker – Toningenieur oder sonst jemand mit einer Leidenschaft für Qualität – würde keine Kassette benutzen. Ein Profiverlangt eine höhere Bandgeschwindigkeit und die Flexibilität, die mehrere Tonspuren mit sich bringen, je nachdem, was Sie vorhaben. Die Marken in diesem Bereich sind Ampex und Denon, sicher. Aber wie ich schon sagte, dieses Band hier bekommen Sie überall.«
»Er könnte es im Laden gestohlen haben«, bemerkte Delorme.
»Einzelhändler behalten solche Ware lieber hinter dem Tresen – oder doch in der Nähe der Kasse.« Fortier wiegte den schweren Kopf hin und her, als ob er nach einem verlorenen Aroma suchte.
»Ja?«, erkundigte sich Cardinal. »Stört sie irgendetwas?«
»Mir kommen Bedenken. Ich sagte, ein Profiwürde nicht mitKassetten arbeiten. Damit meinte ich Profis im Aufnahmebereich. Aber Musiker benutzen sie ständig. Wenn ich zum Beispiel einen Song für Demo-Zwecke aufnehmen wollte, würde ich eine hochwertige Kassette wie diese benutzen. Dafür gibt es so genannte tragbare Studios für Kassettengeräte. Der Klang ist nicht rein, aber bei Popmusik ist Reinheit sowieso kein Kriterium, nicht wahr?«
»Wie steht es mit Schauspielern, Komikern, Conférenciers, die auf der Suche nach einem Engagement sind?«
»Bühnenkomiker schicken Videos. Sie wollen, dass man einen Eindruck bekommt, wie sie auf der Bühne wirken. Aber Leute, die für den Rundfunk vorsprechen möchten, schicken uns immer Kassetten. Ganz eindeutig.«
Fortier öffnete ein Kassettendeck und legte die Kassette ein. Delorme und Cardinal saßen hinter ihm, während sie sich das Band von Anfang bis Ende noch einmal anhörten. Auf dem professionellen Gerät war der Klang viel klarer, ähnlich wie bei einem scharf eingestellten Bild. Es wurde sogar noch klarer, nachdem Fortier verschiedene Regler betätigt hatte. Das Leder seines Sessels knarrte unter ihm, wenn er sich hierhin und dorthin beugte, und seine Hände schwirrten wie Kolibris über dem Regiepult.
»Das Band weist einige Schäden auf. Offenbar wurde es nicht unter optimalen Bedingungen aufbewahrt.«
»Könnte man wohl so sagen.«
Unter Fortiers Tonregie verschwand das Bandrauschen fast völlig. Nach wenigen Sekunden klang Katie Pines Stimme, als wäre sie hier bei ihnen im Raum. So nah schien ihr Entsetzen, so drängend ihre Versuche, den Kopf noch aus der Schlinge zu ziehen, indem sie einen Vater bei der Polizei erfand, dass Cardinal kämpfen musste, um nicht die Fassung zu verlieren. Fortier hielt wie ein Spaniel den Kopf schief und horchte auf immer neue Töne und Geräusche. »Stimme eines Mädchens: zwölf oder dreizehn Jahre alt. Dem Akzent nach eine Indianerin.«
»Stimmt. Was können Sie uns über die männliche Stimme sagen?«
Fortier drückte die Pause-Taste. »Er ist zu weit vom Mikrophon entfernt, um Genaueres über ihn sagen zu können. Jedenfalls kein Frankokanadier oder sonstwie Französischsprechender. Ottawa Valley scheidet auch aus. Südliches Ontario wäre möglich. Er hat nicht diese ausgeprägt gerundeten Vokale, an denen man die Leute aus dem Norden erkennt. Viel gibt es leider nicht her. Er ist einfach zu weit weg vom Mikro.«
Nachdem das Band abgelaufen war, sprach Fortier sehr rasch, als ob er befürchtete, etwas zu vergessen, sobald er einmal richtig
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