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Gefrorene Seelen

Gefrorene Seelen

Titel: Gefrorene Seelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giles Blunt
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unnützen Ballast über Bord wirft. Er hatte sie vor dem Frühstück angerufen, und sie hatte ihm einen guten Eindruck gemacht. Er erlaubte sich sogar den Gedanken, dass sie bald wieder nach Hause entlassen werden könne.
    Aber jetzt wartete das Telefon mit dem unbarmherzigen Schweigen des Henkers darauf, dass er zum Hörer griff und eine bestimmte Nummer wählte. Nach einer langen schlaflosen Nachthatte sich Cardinal dazu entschlossen, an diesem Morgen Kelly anzurufen und ihr mitzuteilen, dass sie sich für das nächste Semester eine andere, billigere Hochschule suchen müsse; ihre Tage in Yale seien gezählt. Sie hatte ihren Bachelor an der York University in Toronto gemacht, und es gab keinen Grund, warum sie nicht dorthin zurückkehren konnte. Seit dem Augenblick, wo er das Geld an sich genommen hatte, war das Gefühl der Schuld immer tiefer in ihn gedrungen. Es war nicht so sehr die Aussicht, von Delorme überführt zu werden – diese Wahrscheinlichkeit war eher gering. Aber Monat für Monat, Jahr für Jahr hatte sich die Säure der Schuld durch den Panzer des Verleugnens gefressen, und nun hielt er es nicht länger aus.
    Was ihn am meisten plagte, war das Bewusstsein, für Catherine nicht der Ehemann, für Kelly nicht der Vater zu sein, den sie liebten. Beide lebten in der falschen Vorstellung, er sei ein untadeliger Mensch. Auch wenn durch sein Vergehen niemand Schaden genommen hatte – wer würde sich schon daran stoßen, dass Cardinal in einem Augenblick der Schwäche einen Kriminellen um eine große Summe Geldes erleichtert hatte? –, stand doch fest, dass er nun schon seit Jahren eine unbekannte Größe, ein völliger Fremder für seine Nächsten war. Kelly liebte und achtete den Vater und Polizisten, der er früher einmal gewesen war. Die Einsamkeit, nicht verstanden zu werden, war unerträglich geworden.
    Und so hatte er sich dazu durchgerungen, Kelly anzurufen und ihr zu erklären, was er getan hatte, und dass er es sich nicht länger leisten könne, sie in Yale studieren zu lassen. Mein Gott, das Mädchen hatte einen IQ von 140, eigentlich müsste sie von selbst darauf kommen. Wie kam ein Kripobeamter aus einer kanadischen Kleinstadt dazu, seine Tochter zum Studium nach Yale zu schicken? Hatte sie ihm wirklich die Geschichte abgenommen, wonach das Geld aus dem lange zurückliegenden Verkauf des Hauses seiner Großeltern stammte? Hatte es Catherine geglaubt? Selbstbetrug musste in der Familie liegen. Na schön, er würde ihr sagen, sie solle ihr Semester zu Ende bringen, dann würde er,nachdem er die Kleinigkeit, den Mörder von Katie Pine, Billy LaBelle und Todd Curry zu überführen, erledigt hatte, vor Dyson und dem Polizeichef ein Geständnis ablegen. Seinen Job bei der Polizei würde er verlieren, aber eine Gefängnisstrafe war unwahrscheinlich.
    Er nahm den Hörer ab und wählte Kellys Nummer in den Vereinigten Staaten. Eine ihrer Mitbewohnerinnen hob ab. Cleo? Barbara? Er konnte sie nicht auseinanderhalten. Sie rief Kelly herbei.
    »Hi, Daddy.« Seit wann nennt sie mich wieder so?, fragte sich Cardinal. Eine kurze Zeit lang war er ihr »Pop« gewesen, was Cardinal nur schwer ertragen hatte, dann war sie zum üblichen »Dad« zurückgekehrt, aber seit kurzem hieß er wieder »Daddy«. Wahrscheinlich war es der amerikanische Einfluss, dachte er, so wie sie andere sprachliche Eigentümlichkeiten übernommen hatte. Aber das war eine Marotte, die ihm gefiel.
    »Hi, Kelly. Was macht das Studium?« So sachlich, so knapp. Warum konnte er sie nicht »Schatz« oder »Prinzessin« nennen wie die Väter in Fernsehserien? Warum kann ich nicht sagen, dass das Haus ohne sie kälter ist? Ohne Catherine? Warum sage ich ihr nicht, dass dieses kleine Cottage plötzlich die Ausmaße eines Flughafens angenommen hat?
    »Ich arbeite an einem Riesenprojekt für meine Malklasse. Dale hat mich davon überzeugt, dass mir das Großformat am besten liegt, nicht die mickrigen Formate, an denen ich bisher geklebt habe. Ich fühle mich befreit. Ich kann dir gar nicht sagen, wie gut mir das tut. Meine Malerei ist hundertmal besser.«
    »Das klingt gut, Kelly. Klingt, als hättest du Spaß daran.« Das waren seine Worte. Was er dachte, war: Mein Gott, wie gern höre ich, dass du glücklich bist, dass du dich entwickelst und dass dein Leben so erfüllt ist.
    Kelly berichtete weiter, sie habe erst jetzt wirklich gelernt, wie man mit Farbe umgehe. Normalerweise hätte sich Cardinal an der Begeisterung seiner Tochter geweidet. In

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