Gefrorene Seelen
Achsel gemessen.«
»Wo sind meine Kleider? Ich sollte besser zum Arzt gehen.«
»Edie wäscht deine Kleider gerade. Du hast dich übergeben müssen.«
»Wirklich? Das ist ja schrecklich.« Keith rieb sich den Hals. Seine Kehle brannte. »Gibt es hier Wasser?«
»In der Toilette.« Eric zeigte auf die schmale Tür. »Aber trink lieber hiervon.« Er reichte ihm einen Becher dampfender Flüssigkeit. »Edies Gebräu. Sie hat es aus dem Drugstore. Mach dir keine Sorgen, Edie kennt sich mit Arzneien aus.«
Ein starker Geruch von Honig und Zitrone stieg aus der Tasse auf. Keith nahm einen Schluck und hätte sich fast die Zunge verbrüht. Es schmeckte wie Grippetee oder so etwas Ähnliches, wahrscheinlich mit einem Antihistaminikum angereichert, aber es tat gut. Nach ein paar Schlucken fühlte sich Keith gleich besser. Der Nebel in seinem Kopf lichtete sich ein wenig. Er zeigte auf die Sofortbildkamera, die Eric umhängen hatte. »Wozu brauchst du das?«
»Probeaufnahmen. Edie und ich sind Filmemacher. Das ist einer der Gründe, weshalb du uns aufgefallen bist. Wir hofften, du würdest bei unserem Filmprojekt mitmachen.«
»Was für ein Film denn?«
»Ein poetischer Experimentalfilm, ein Low-Budget-Projekt. Ich wollte dich schon an dem ersten Abend fragen, aber dann hatte ich doch Bedenken, es könnte … unpassend sein.«
»Das geht schon in Ordnung. Ich helfe euch gern.« Keith rutschte wieder in die Kissen und rollte sich ein. Schlafen schien wieder das Beste für ihn zu sein.
Eric hielt eine Zeitung hoch. »Der
Algonquin Lode
«, sagte er. »Ein bekacktes Provinzblatt.« Laut raschelnd blätterte er darin, räusperte sich und begann mit fester Stimme vorzulesen. »›Bei einem Einsatz der Stadtpolizei heute Morgen an der Ecke Timothy und Main Street wurde die Leiche eines männlichen Jugendlichen im Kohlenkeller eines leerstehenden Hauses gefunden. Der noch nicht identifizierte Jugendliche ist offensichtlich Opfer einer Mordtat geworden. Die Polizei schließt nicht aus, dass das Verbrechenvon demselben Täter begangen wurde, der vergangenen September Katie Pine ermordet hat. Wie Detective John Cardinal mitteilte, war das Opfer brutal misshandelt worden. Neben mehrfachen Verletzungen am Kopf wies die Leiche Verstümmelungen im Genitalbereich auf. Offenbar wurde der Junge so lange getreten, bis die Genitalien fast ganz vom Körper abgelöst waren.‹«
»Um Gottes willen«, entsetzte sich Keith. »So was passiert hier?«
»Ja, hier in Algonquin Bay, nicht weit von diesem Zimmer.«
»Um Gottes willen«, sagte Keith noch einmal. »Stell dir das mal vor, so misshandelt zu werden. Das ist was anderes als eure üblichen Kneipenschlägereien.«
»Nun, keine vorschnellen Urteile. Über das Opfer erfährt man sonst nichts. Vielleicht hat der Junge ja Streit angefangen. Vielleicht ist er kein Verlust für die Welt. Ich vermisse ihn jedenfalls nicht. Du etwa?«
»Niemand verdient es, so zu sterben. Egal, was er getan hat.«
»Du hast ein weiches Herz. Edie hat eine Schwäche für die Sanften. Deine Freundin muss das auch an dir mögen. Wie heißt sie doch gleich?«
»Karen. Na, ich weiß nicht. Karen hätte es lieber, wenn ich mehr an die Zukunft denken würde. Sie ist ziemlich sauer auf mich.«
»Erzähl doch mal, was in Sachen Sex in Toronto so angesagt ist. Ich habe gehört, alle stehen dort auf Oralsex. Bläst dir Karen gern einen?«
»Aber Eric, sag mal.« Keith war wieder in die blutwarmen Wasser des Schlafs gesunken. Ich schlafe noch ein bisschen, beruhigte er sich selbst, und dann verschwinde ich so schnell wie möglich von hier.
»Ich musste einfach hinschauen, als wir dich ausgezogen haben. Einen tollen Schwanz hast du und prächtige Eier. Wirklich, Karen kann sich glücklich schätzen.«
Keith wollte ihm sagen, er solle damit aufhören, doch er konnteden Wörtern nicht den Weg vom Gehirn zur Zunge weisen. Dieses nach Honig und Zitrone duftende Getränk hatte ihn für eine weitere Runde außer Gefecht gesetzt.
Eric legte eine Hand auf Keiths Knie und fasste zu. »Die Leute verstehen nicht, was ich alles durchgemacht habe. Vergewaltigung, sexueller Missbrauch. Das waren schlimme Zeiten für mich, Keith, und manchmal macht mich das ein wenig – unruhig. Hast du etwas dagegen, wenn ich dich zwischen den Beinen streichle?«
Keith versuchte, seinen Blick auf Eric zu richten. Was war bloß in dem Getränk gewesen?
Die Zeit verging. Fünf Minuten, vielleicht auch zwanzig Minuten. Eric zog die Decke
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