Gefühlte Nähe: Roman in 23 Paarungen (German Edition)
da bleibt man natürlich auch als Paar zusammen, die Frage nach dem Glück stellt sich überhaupt nicht. Diese Frage ist im Lebenslauf nicht vorgesehen. Vielleicht sind die Leute genau damit glücklicher gewesen, zumindest zufriedener. Die waren nicht verantwortlich für das, was sie waren, die haben einfach versucht, aus den Gegebenheiten das Beste zu machen, damit hatten sie genug zu tun.
Wenn du das Gefühl hast, frei zu sein, bedeutet jede Form von Unglück, dass du als Person versagt hast. Dann ist die Abwesenheit von Glück gleichbedeutend mit Schuld. Die Suche nach dem Glück führt irgendwie ins Unglück, das hat man bei uns beiden gesehen, zumindest bei mir.
Ich werde auf jeden Fall zu Ende studieren, ich werde versuchen, eine Lehrerstelle zu kriegen. Ich hätte gerne Kinder. Na ja, nicht sofort. Ich will versuchen, den Ball flach zu halten, verstehst du. Der Mensch, mit dem du zusammen bist, ist dir sowieso vom Zufall zugeführt worden, das ist weder viel besser noch viel schlechter als eine von diesen arrangierten Ehen, wie es sie in primitiven Gesellschaften immer noch gibt. Vielleicht habe ich nebenbei eine Geliebte – irgendwann. Und wenn meine Frau einen Geliebten hat, werde ich wegschauen. Ich will ruhiger werden und nicht mehr so einen Quatsch machen wie vor drei Wochen. Samstags gehe ich jedenfalls, sofern es sich einrichten lässt, zum Fußball. Klingt nach einem Leben, in dem es sich aushalten lässt.
Aber vielleicht rufst du ja doch noch an. Ich werd’s auch weiter probieren. Es wird ganz bestimmt schön werden, es war doch eigentlich meistens schön. Konzert? Kino? Zoo? Egal. Oder wir schweigen zusammen. Aber egal, wie schön es ist, irgendetwas wird dir fehlen, oder?
Dein Tobias.
PS
Vielleicht habe ich einfach nur eine große Neurose mit großen Gefühlen verwechselt.
5
Während dieser ganzen Zeit, ihrer guten Zeit, zweifelte Sam keinen einzigen Tag, keine Stunde und keine Sekunde daran, dass er und N. ein ideales Paar waren. Als sie heirateten, studierte N. noch, schwer zu sagen, was, sie wechselte mehrfach. Zum ersten Mal sah er sie bei einem Konzert im Audimax. Orgasmic Orchestra war zu der Zeit eine Größe in der Stadt. Sie bekamen das Audimax spielend voll, drei oder vier Plakate genügten. Ihre Musik bestand hauptsächlich aus harten Beats und langen, psychedelischen Gitarrensoli, hin und wieder brachte Sam mit einem Schlagzeugsolo ein bisschen Abwechslung hinein. Ihre Vorbilder hießen Jimi Hendrix, Led Zeppelin und Amon Düül II, Bands, deren Ruhm schon etwas verblasst war, Hendrix war sogar schon seit Jahren tot. Aber das Audimax kochte.
Orgasmic Orchestra bestanden aus drei deutschen Jungs, die recht gut waren, der sehr guten Sängerin Liza, die in Wirklichkeit Mechthild hieß und wegen der ausschweifenden Instrumentalsoli viel zu selten zum Zug kam, dazu aus Sam, dem zwei Meter großen Schlagzeuger, der als Musiker, wie er selbst wusste, nie über Mittelmaß hinauskommen würde, der aber bei den Leuten das beliebteste Mitglied der Birds war. Die anderen konzentrierten sich mit gesenkten Köpfen auf ihre Instrumente wie Uhrmacher, denen eine kleine, wichtige Sprungfeder verloren gegangen ist. Sam dagegen flirtete mit dem Publikum. Er lachte, wenn ein Ton mal danebenging, er sagte auch die Songs an, mit einem Akzent, der bestens ankam. Jedes Publikum ist anders, und Sam hatte ein absolutes Gespür dafür. Meistens stellte er erst kurz vor dem Konzert das Programm der Band zusammen, nachdem er sich die Leute im Saal kurz angeschaut hatte. Diesen Titel bringen wir, jenen Titel lassen wir heute besser weg. Beim Spielen schaute er selten nach unten.
So war sein Blick eines Abends auf N. gefallen, die etwas von einem Hippiemädchen hatte, wie er fand, weite, bunte Klamotten, lange Haare, auffälliger Schmuck, ein Mädchen, wie in Woodstock schockgefrostet und zehn Jahre später wieder aufgetaut. In der Pause ging er zu ihr. Sie war, wie sie erzählte, ein paar Jahre die Freundin von Doubek gewesen, dem Manager des Orgasmic Orchestras, falls man es so großspurig nennen konnte. Doubek erledigte den Papierkram und vereinbarte die Gigs und kassierte dafür zehn Prozent, oder mehr, bei Doubek blickte man nie durch. In der Band waren sich alle sicher, dass er sie betrog und bei nächster Gelegenheit gefeuert werden musste. Aber die Gelegenheit dazu kam irgendwie nie, weil Doubek unermüdlich ein Konzert nach dem anderen klarmachte, tüchtig war er schon.
N. jedenfalls
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