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Gefühlte Nähe: Roman in 23 Paarungen (German Edition)

Gefühlte Nähe: Roman in 23 Paarungen (German Edition)

Titel: Gefühlte Nähe: Roman in 23 Paarungen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harald Martenstein
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zu einem Konzert mitkommen wollte, rief er Liza an und sagte ihr, dass er an diesem Abend nicht spielen konnte, weil er bei Schering antreten musste. Der Scheringjob sei ihm wichtig und so weiter. Tatsächlich musste er nur selten zu dieser Rettungsmaßnahme greifen. Trotzdem konnte natürlich eine Panne passieren. Dann würde er sich eben spontan etwas einfallen lassen. In der Hinsicht hatte er Vertrauen zu sich, wenn’s drauf ankam, fiel ihm immer was ein.
    Als N. einen größeren Auftrag an Land zog, sie sollte als Ghostwriterin die Biographie irgendeines wichtigen alten Sacks schreiben, fuhren sie von der ersten Rate vier Wochen nach Kalifornien. Liza sagte er, dass er seine Eltern besuchen wollte. Kalifornien war ein einziges, langes Fest der Liebe, fast wie in ihrer allerersten Zeit. Natürlich hatte Sam manchmal ein schlechtes Gefühl, das ist doch selbstverständlich, andererseits, nahm er N. etwas weg, betrog er sie in dem Sinn, wie ein Scheckbetrüger es tut, der einem das Konto leer räumt, oder wie ein Falschspieler, der andere abzockt? Er nahm ihr nichts weg. Das Leben von N. hätte, wenn es Liza nicht gäbe, kein bisschen anders ausgesehen. Er wäre nicht öfter mit ihr zusammen gewesen, er hätte nicht öfter mit ihr geschlafen, im Gegenteil. Er war, dank Liza, zufriedener und liebevoller, als er es ohne Liza hätte sein können, da war er sich sicher.
    Abstrakt gesehen war sicher falsch, was er tat. Konkret betrachtet war es richtig, vor allem, wenn man The pursuit of happyness als ein legitimes Ziel akzeptierte.
    Als sie zurückkamen, gleich am ersten Abend, als N. und Sam völlig fertig waren wegen der Zeitverschiebung, rief Elijah an. Sam sollte sich bei Liza melden, dringend. Sam ging Zigaretten holen und zur Telefonzelle. Er wunderte sich, weil er Liza ausdrücklich darum gebeten hatte, ihn nicht am Flughafen abzuholen und ihn in den ersten zwei, drei Tagen nach seiner Rückkehr in Ruhe zu lassen, damit er sich von seinen anstrengenden Eltern erholen konnte.
    Liza sagte: »Ich bin schwanger.«
    Sie klang weder erfreut noch vorwurfsvoll noch depressiv, auch nicht aufgeregt. Sie teilte ihm diese Tatsache in sachlichem, fast geschäftsmäßigem Ton mit, einer Tonlage, die er nicht von ihr kannte. Sam und N. verhüteten seit einer Ewigkeit nicht mehr, ohne dass sich je etwas tat. Sam war mit N. sogar beim Arzt gewesen, sie wollte unbedingt, dass er mitkam, damit er sie gegebenenfalls tröstete, falls sie keine Kinder kriegen könnte. Der Arzt hatte N. untersucht, da schien, zumindest auf den ersten Blick, alles okay zu sein, obwohl man Genaues erst nach längeren, komplizierten Tests feststellen konnte. Vielleicht lag es an Sam. N. wollte, dass er sich ebenfalls untersuchen ließ, das schob er seit Monaten vor sich her. Jedenfalls war er bei Liza ein bisschen nachlässig gewesen.
    Liza fragte: »Und, freust du dich?«
    Sam antwortete: »Klar. Super. Willst du’s denn kriegen?«
    Liza sagte: »Weißt du, ach, Sam, Alter, das hast du bestimmt schon ganz oft und von ganz vielen Frauen gehört, aber ich muss es dir ganz einfach sagen, ja? Du bist ein Arschloch.«
    Liza klang deswegen anders als üblich, weil sie eine Stinkwut hatte, die sie mühsam unterdrücken musste. Sie war in Berlin überhaupt noch nie beim Frauenarzt gewesen. Sie fragte deshalb eine Freundin. Diese Freundin hatte ihr irgendeinen Typ in Schöneberg empfohlen.
    Sie geht also hin, der Arzt untersucht sie, sie bekommt das Ergebnis. Der Arzt fragt, ob sie sich freut, ob der Vater sich voraussichtlich ebenfalls freuen wird, der Typ ist nett, nimmt sich Zeit, sie plaudern ein paar Minuten. Sie holt, weil sie herausfinden will, wie er reagiert, ein Foto von Sam aus der Tasche und zeigt es ihm. Wenn der Typ auch nur den leisesten Anflug einer rassistischen Reaktion zeigt, will sie den Arzt gleich wieder wechseln.
    Der Typ nimmt das Foto und schaut es sich gründlich an, dann legt er das Foto auf seinen Schreibtisch und sagt, dass ihm nicht ganz klar ist, ob er jetzt gegen die ärztliche Schweigepflicht verstößt, es sei ihm aber auch egal.
    Es ist doch tatsächlich derselbe Arzt, bei dem Sam ein paar Wochen vorher mit N. gewesen war. Es ist rein zufällig der Arzt von N., und an Sam erinnert er sich natürlich. Erst schleicht er ein bisschen um den heißen Brei herum, will herausfinden, was sie weiß, und als ihm schließlich klar ist, dass sie von der Existenz der Ehefrau keine Ahnung hat, sagt er es ihr. Allerdings nennt er ihr nicht

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