Gefühlte Nähe: Roman in 23 Paarungen (German Edition)
studierte in Berlin. Als sie sich zwei Tage nach dem Konzert im Mensacafé trafen, erzählte sie ihm, ungefragt, dass sie immer noch gelegentlich mit Doubek schlief, obwohl die Sache vorbei sei und keine Perspektive habe, aber der Sex mit Doubek, dieser verdammten Ratte, sei relativ gut, und in Berlin gebe es zurzeit niemand. Zwei Wochen später zog Sam nach Berlin. Der Band erzählte er, dass er Musik studieren wollte.
Sie heirateten in Paris, die Hochzeitsnacht verbrachten sie im Hotel Louis le Grand an den Champs-Élysées. Danach flogen sie für zwei Wochen nach Indien und gaben dort den letzten Rest ihrer Ersparnisse aus.
Die Hochzeit war eine romantische, verrückte Idee, der Vorschlag war, nach ein paar Joints, von N. gekommen. Am nächsten Tag wiederholte sie ihn. Sam war verblüfft und begeistert. Für ihn gab es keinen Zweifel daran, dass etwas Besseres als N. auf dem gesamten Planeten nicht zu bekommen war, schön, klug, witzig, anschmiegsam, alles perfekt, auch ein bisschen schräg. Sogar ein bisschen zerbrechlich hinter ihrer supertollen Fassade, wie er fand, also keine von diesen Streberinnen und Prinzessinnen und höheren Töchtern, die einem den letzten Nerv raubten, wirklich alles perfekt. Sie schliefen täglich mindestens dreimal miteinander, und sie nannte ihn Bärchen.
Seinen Eltern in New York erzählte er erst mal nichts von der Hochzeit. Er verstand sich nicht besonders mit ihnen, rief sie nur selten an und hatte keine Lust auf Diskussionen. Eine Deutsche, das hätte ihnen nicht gefallen. Deutsche waren für sie automatisch Nazis und Rassisten. N. erzählte er, dass seine Mutter schwer depressiv sei und dass er zu seinem Vater keinen Kontakt habe, zu gegebener Zeit konnte er das ja, falls nötig, zurechtrücken.
N. wollte möglichst schnell schwanger werden. Sie war wahnsinnig romantisch. Außerdem glaube sie, dass es für ihre spätere Karriere besser sei, die Kindersache zügig hinter sich zu bringen, sie wollte mindestens eines, besser zwei. Wenn sie Mitte dreißig wäre, würden ihre Kinder schon in der Schule sein. Sam hatte nichts dagegen. Er ließ das ganz entspannt auf sich zukommen.
Inzwischen hatte er eine neue Band gefunden, die Crudités rouges, die stilistisch auf Louisiana machten, aber nicht so gut im Geschäft waren wie Orgasmic Orchestra, viel Geld kam dabei nicht herum. N. schrieb Musikkritiken für ein paar Zeitungen und kellnerte manchmal am Wochenende. Sorgen hatten sie nicht, die Wohnungen in Berlin waren billig, alles war billig, und ihre Freunde, meistens Musiker, verdienten ungefähr genauso wenig wie sie.
Das wird schon werden, sagte sich Sam, Tag für Tag. N. war ehrgeiziger als er, früher oder später würde sie einen guten Job angeboten bekommen. N. machte jeden Monat einen Schwangerschaftstest, in manchen Monaten zweimal. Das ging Sam ein wenig auf die Nerven. Aber er sagte nichts. Ansonsten lief alles perfekt. Es war das Paradies.
In dieser ganzen Zeit, von Anfang an, war Sam sich darüber im Klaren, dass er N. betrog, auf eine gewissermaßen geistige Weise. Er wusste nicht, ob er wirklich auf Dauer so leben wollte, wie er jetzt lebte, zu zweit in einer Wohnung, später vielleicht mit Kindern, mit N., aus der bestimmt etwas werden würde, während er sich über seine eigene berufliche Zukunft wenig Illusionen machte. Daraus, dass N. und er ein perfektes Paar waren, wie Sam es empfand, folgte für ihn nicht das Gleiche wie für sie.
Dinge ändern sich. Er wollte sich nicht langfristig festlegen, trotzdem wollte er jetzt, heute, auch morgen, mit N. zusammen sein. Definitiv. Dazu waren eben ein paar Notlügen erforderlich. Auf ihre Frage »Willst du mit mir zusammenbleiben?« konnte er unmöglich antworten: »Im Moment auf jeden Fall.« Das hätte sie nicht akzeptiert. Sie wäre gegangen. Er hatte doch aber das Recht, sich mit den dazu geeigneten Waffen sein eigenes Glück zu erobern, ein Glück, das bis auf Weiteres aus N. bestand. Dieses Recht stand sogar in der amerikanischen Verfassung: The pursuit of happiness.
Am besten wäre es gewesen, solche Fragen gar nicht erst zu stellen. Wenn N. kellnerte, ging er manchmal alleine aus. Das wusste sie, damit hatte sie kein Problem. Manchmal ging er ins Slumberland am Winterfeldplatz, wo er den Besuch auf praktische Weise mit dem Einkauf von Stoff kombinieren konnte. N. und er rauchten immer noch manchmal was, nicht exzessiv, auch eher mit abnehmender Tendenz. Der Sex war besser, wenn sie etwas geraucht hatten.
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