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Gefühlte Nähe: Roman in 23 Paarungen (German Edition)

Gefühlte Nähe: Roman in 23 Paarungen (German Edition)

Titel: Gefühlte Nähe: Roman in 23 Paarungen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harald Martenstein
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Tür zum Schlafzimmer seiner Frau. Sie ist da und atmet regelmäßig. Ihr Nachthemd ist hochgerutscht. Zum ersten Mal seit langer Zeit sieht Marcello die nackten Beine seiner Frau bis zur Hüfte. Sie hat Krampfadern.
    Er beugt sich über sie und riecht an ihrem Nacken. Er stellt fest, dass sie noch genauso riecht wie in seiner Erinnerung. Er fragt sich, wie sie inzwischen ist. Spricht sie zu ihren Liebhabern neue Sätze, zeigt sie Gesichtsausdrücke und Gesten, die er nicht kennt? Vermutlich. Er deckt seine Frau zu und küsst sie auf die Wange, dann geht er wieder nach unten. Jetzt schreibt er den Brief.
    »Ich habe euch gesehen, Born. Ich habe euch gesehen, als ihr auf dem Rummelplatz wart, du hast glücklich ausgesehen, mein Lieber. Rate mir, was ich tun soll.«
    Es ist ein Uhr.

11
     
    Für das Sexproblem hatte Robert Wegner, nach Jahren des Wanderns und Scheiterns, endlich eine Lösung gefunden.
    Eines einsamen Abends entschloss er sich, es auszuprobieren. Er ging, obwohl es sommerlich warm war, in eine Sauna, deren Ausrichtung ihm aus einem Stadtführer bekannt war, setzte sich, mit einem Handtuch um seine Hüfte, an die Bar, bestellte einen Cappuccino und wartete darauf, dass jemand ihn anmachte.
    Nach einer halben Stunde begann er, an seiner Attraktivität zu zweifeln. Um ihn herum standen nackte und halbnackte Männer, einige mit beachtlichen Bäuchen, die sich über Fußball und Autos unterhielten. So hatte er sich das nun wirklich nicht vorgestellt. Robert Wegner setzte sich in eine der Schwitzkabinen, dort ging alles sehr schnell.
    Er hatte nicht den Eindruck, dass er einer verschütteten oder unterdrückten Neigung nachgab. Er änderte seine Gewohnheiten, das war alles. Es war so, als ob man vom Autofahren aufs Fahrradfahren umsteigt oder vom Fleischverzehr aufs Vegetariertum. Es ist eine Entscheidung, wie immer gibt es Vorteile und Nachteile. Robert Wegner war davon überzeugt, dass die meisten Menschen, sicher nicht alle, sowohl das eine oder auch das andere tun können. Am Anfang kommt es einem vielleicht seltsam vor, aber wenn man eine Weile dabeigeblieben ist, hält man es für gut und richtig.
    Die Vorteile waren offensichtlich. Die mühsamen, heuchlerischen und zeitraubenden Balzrituale, die Frauen von Männern erwarten, entfielen. Wenn in der einen Bar nichts lief, trank er aus und ging zur nächsten. Wann immer er Lust hatte, konnte er Sex haben, und zwar mit ziemlich großer Sicherheit innerhalb von ein oder zwei Stunden, ohne Bezahlung, ohne Verpflichtungen, ohne den üblen Nachgeschmack, den One-Night-Stands mit Frauen meistens hinterlassen.
    Keine beleidigten Briefe, keine Anrufe. Niemand erwartete irgendetwas von ihm, außer dieser einen Sache. Manchmal gab er seine Telefonnummer, oder er bekam eine Nummer. Aber wenn sich nichts daraus ergab, war das auch in Ordnung, und falls man sich zufällig wieder traf, gab es keine Probleme. Man hatte seinen Spaß, hinterher klopfte man einander kurz auf die Schulter und fragte nach der Uhrzeit.
    Robert Wegner lernte N. bei einer Lesung kennen. Sie plauderten kurz, er verliebte sich auf der Stelle. Einige Tage lang quälte ihn fast ununterbrochen der Gedanke, dass er mit N. Kontakt aufnehmen sollte, aber er kannte nicht einmal ihren Namen, das Einzige, was er ungefähr kannte, war ihr literarischer Geschmack. Eine Woche später, bei einer anderen Lesung, traf er sie wieder. Er hatte bei ihrem ersten Gespräch erwähnt, dass er dort vielleicht hingehen würde. Robert Wegner glaubte deshalb nicht an einen Zufall.
    Sie verabredeten sich zum Frühstück.
    Beide aßen nur wenig. Bei dieser Gelegenheit erzählten sie einander ihre Lebensgeschichten, allerdings ohne die intimen Details. Sie stellten fest, dass sie über Kunst und Politik ähnliche Ansichten vertraten, in den gleichen Ländern Urlaub machten und beide in Schöneberg wohnten.
    Nach dem Frühstück hätte N. eigentlich zur Arbeit gehen müssen. Sie hatte eine Weile herumstudiert und im Dritten Programm ein paar Monate lang eine Musiksendung moderiert, inzwischen war sie Produktionsassistentin bei einem der neuen Privatsender. An diesem Tag meldete sie sich aber telefonisch krank und ging mit Robert Wegner, der damals bei Insidern schon ziemlich bekannt war, in sein Atelier, unter dem von ihnen beiden durchschauten Vorwand, sich seine neuesten Arbeiten zeigen zu lassen. Dort schliefen sie miteinander, zunächst auf der Couch des Ateliers, dann auf dem Tisch, auf dem Robert Wegner eine Reihe von

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