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Gefühlte Nähe: Roman in 23 Paarungen (German Edition)

Gefühlte Nähe: Roman in 23 Paarungen (German Edition)

Titel: Gefühlte Nähe: Roman in 23 Paarungen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harald Martenstein
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etwas noch nie erlebt, anderes schon, aber das nicht.
    Mach keinen Quatsch, sagte der Freund. Es läuft doch gut bei Sylvia und dir, kein Krieg. Ihr seid euch eine Heimat, ihr mögt euch doch, da muss man erst einmal hinkommen.
    Zum ersten Mal spricht der Freund über sein eigenes Unglück, wenn auch indirekt.
    In Marcellos Erinnerung legt er Marcello die Hand auf die Schulter und schüttelt den Kopf, traurig, so eine Katastrophe, überleg dir das gut. Spiel auf Zeit. Keine schnellen Entscheidungen. Lass die Hormone sich erst mal beruhigen.
    Ich will morgens beim Frühstück dieses Gesicht sehen, antwortet Marcello. Ich will abends beim Einschlafen diesen Atem hören. Ich will unvernünftig sein. Vernunft ist etwas für Leute, die das Zweite Staatsexamen machen.
    Soweit seine Erinnerung. In Wirklichkeit hat Marcello die Vorhaltungen des Freundes schweigend hingenommen.
    Was ist mit Lisa? So hieß die nächste Frage des Freundes. Lisa ist Marcellos Tochter. Sie ist vierzehn Jahre alt. Weißt du, antwortet er, nach seiner Erinnerung, wie man mit vierzehn sein möchte? Man möchte genau so sein wie die anderen. Das ist der wichtigste Wunsch einer durchschnittlichen Vierzehnjährigen. Nun. So ist es. Ich bin wie alle anderen.
    Lisa würde es gar nicht merken, dass wir uns trennen, sofern wir es ihr nicht ausdrücklich sagen. Lisa macht ihre eigenen Sachen. Vielleicht erzählen wir es ihr erst nach dem Abitur.
    Um acht Uhr zwanzig will Marcello N. anrufen, aber er tut es nicht. Er vermutet, dass sie noch schläft. Stattdessen schaut er sich Fotos an. In seinem Schreibtisch sammelt er, zwischen seinen Steuerunterlagen, Fotos von N., die er mehrmals täglich betrachtet.
    Sie telefonieren oft, manchmal sehr lange, im Lauf der Monate sind ihre Gespräche intimer geworden. N. hat ihm gestanden, dass sie sich während ihrer Gespräche hin und wieder selbst befriedigt, sie habe nichts dagegen, wenn er das Gleiche tun würde. Marcello findet diese Idee aufregend, aber es gelingt ihm nicht, sie umzusetzen.
    N. sagt ihm nicht, dass er sich für sie entscheiden muss. Sie sei es, die sich entscheiden müsse.
    Marcello hört in seinem Kopf die Stimme von N., sie redet langsam und spricht akzentfreies Hochdeutsch.
    »Mit vierzig gründe ich keine Familie. Wie sieht das denn aus, wie eine Panikattacke. Der Mann, den du mit vierzig an Land ziehst, weiß, dass er zweite oder dritte Wahl ist. Mit vierzig motiviert man sich mühsam noch ein letztes Mal, wie beim Spiel um Platz drei bei einer Weltmeisterschaft.«
    Marcello hört weiter N. zu.
    »Ich kann keinen Verlierer nehmen, mir ist egal, ob das unromantisch oder berechnend klingt. Es muss ein Gleichgewicht geben zwischen mir und dem Mann. Ich kann im Übrigen gar nichts dagegen tun. Ich verliebe mich nicht in Verlierer. Das ist keine bewusste Entscheidung, es passiert eben einfach nicht.«
    N. redet weiter.
    »Er muss intelligent sein, er muss Kinder wollen, er muss bereit sein, die Familienarbeit gleichberechtigt zu teilen. Er muss gut aussehen.«
    Marcello glaubt, dass N. hinter ihrer Sachlichkeit etwas verbirgt, ein romantisches Gefühl trotz allem. »Vernunft« und »Gefühl« stellt er sich wie zwei Mengen in der mathematischen Mengenlehre vor. Wenn es zwischen der Menge »Vernunft« und der Menge »Gefühl« eine ausreichend große Schnittmenge gibt, kommt es zu einer Bindung.
    Um acht Uhr fünfundvierzig ruft er N. an. Sie reden einige Minuten über das, was sich in ihren Leben in den vergangenen Stunden ereignet hat. Sie haben sich seit drei Tagen nicht gesehen und vor vierzehn Stunden zum letzten Mal telefoniert. Sie verabreden sich.
    Den Plan, seinem Freund zu schreiben, verschiebt Marcello. Er fährt ins Büro. Er hat eine Gewaltphantasie, in der er N. an den Haaren zieht und ihren Kopf gegen eine Wand schlägt. Wegen dieser Phantasie ist er beunruhigt. Er ist sich darüber im Klaren, dass er dergleichen in der Realität nicht tun würde. Zumindest hält er das für extrem unwahrscheinlich.
    Um vierzehn Uhr verlässt er das Büro, angeblich, um ein Vorbereitungsgespräch mit einem Serienautor zu führen. Das Gespräch führt er unterwegs am Autotelefon.
    Ab etwa vierzehn Uhr dreißig liegt er mit N. in ihrer Wohnung auf dem Bett. Sie unterhalten sich, ihr Gespräch hat lange Pausen. Sie schauen aus dem Fenster und betrachten die Wolken.
    N. steht auf und holte einige Stücke Käse aus ihrem Kühlschrank. Dann erst antwortet sie auf einen Satz, den Marcello eine Viertelstunde

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