Gefühlte Nähe: Roman in 23 Paarungen (German Edition)
Magazinredakteur, der die Hospizgeschichte betreute, und sagte ihm zu. Er hatte richtig Lust auf diese Geschichte. Natürlich lag es nahe, die Kranken in Schwarz-Weiß zu fotografieren. Genau deswegen würde er es nicht tun. Die Fotos sollten im Gegenteil knallbunt sein, Robert Wegner schwebten als Vorbild mittelalterliche Kirchenfenster oder Ikonen vor. Daran hatte der Magazinredakteur zu beißen.
Während sie beim Dessert saßen, wurde Robert Wegner zum Telefon gerufen.
»Woher wusstest du denn, wo ich bin?«, fragte er. N. hatte einfach die bekannteren Hotelrestaurants durchprobiert. Der Test war gemacht, das Ergebnis kam in drei Wochen. Die Ärztin hatte gesagt, dass N. sich erst mal keine Sorgen machen müsse, vorausgesetzt, ihr Freund, also Robert Wegner, sage die Wahrheit. Die Ansteckungsgefahr durch das Virus sei, statistisch gesehen, nicht sehr hoch, umgerechnet auf den einzelnen Geschlechtsverkehr so etwas wie ein Prozent, je nach sexueller Praktik, die angewendet wird, natürlich mal mehr, mal weniger. Das heißt, bei jedem hundertsten Mal oder so erwischt es einen, statistisch gesehen. Deswegen gebe es Leute, die längere Zeit mit einem Infizierten zusammen sind und sich nicht anstecken, ein paar Leute seien vielleicht auch immun. Sie wolle die Gefahr nicht bagatellisieren, um Himmels willen, nein, schützen müsse man sich schon. Es sei schon okay, wenn die Ansteckungsgefahr in den Medien dramatischer geschildert wird, als sie es ist. Sonst würde sich kein Mensch schützen, alle würden auf ihr Glück vertrauen. Das Virus sei sehr anpassungsfähig, sehr wandelbar, sehr schlau, wenn man so will, deswegen ist es schwer auszurotten, aber es sei nicht besonders aggressiv. Ähnlich wie der Mensch, der Mensch verliert fast jeden Zweikampf gegen ein gleich großes anderes Lebewesen, er hat Kultur, Religion, Strafrecht, lauter Aggressionsbremsen, er ist eigentlich friedlich, aber wenn er trotzdem loslegt, kann er viel Schaden anrichten.
Interessante Ärztin, dachte Robert Wegner. Aber er konnte sich schlecht konzentrieren, weil der Magazinredakteur auf ihn wartete. »Klingt gut«, sagte er, »reden wir heute Abend weiter?«
N. begann zu weinen. »Was ist, wenn ich sterbe?«
»Wenn du stirbst, sterbe ich auch, aber das macht ja nichts«, sagte Robert Wegner, ohne groß nachzudenken. Das war sonnenklar. Wenn sie das Virus hatte, dann hatte er es erst recht. Da konnte sie jetzt wirklich nicht damit rechnen, auf seiner Mitgefühlsliste die Nummer eins zu sein, trotzdem, diese Bemerkung hätte er sich besser verkniffen. N. schrie »du Schwein!« und legte auf. Er ging zurück zum Tisch, der Magazinredakteur hatte bereits bezahlt und war leicht verärgert. »Meine Mutter«, sagte Robert Wegner. »Sie ist schwer krank, sie ist dement.«
Dafür hatte der Redakteur Verständnis.
In den folgenden Tagen rief N. häufig bei Robert Wegner an, bestimmt fünfzehnmal, zuerst in seinem Hotelzimmer, später bei ihm zu Hause, aber er ging nicht ans Telefon. Wenn es klingelte, hatte er es seltsamerweise im Gefühl, ob N. die Anruferin war oder jemand anderes. Er irrte sich nie. Sie waren schon, auf eine verrückte Weise, verwandte Seelen, dachte er. Sonst hätte er bei ihren Anrufen doch nicht ihr Fluidum so genau gespürt.
Nach dreieinhalb Wochen kam ein kurzer Brief. Sie beide würden nicht zueinander passen. Sie wünsche ihm alles Gute, das Testergebnis, falls es ihn interessiere, sei negativ.
Robert Wegner hatte einen Assistenten eingestellt, vorerst auf Honorarbasis, einen südländisch aussehenden jungen Mann, der sich Raffael nannte, in Wirklichkeit aber Jürgen hieß. Raffael war das Ergebnis einer allen Wahrscheinlichkeitsrechnungen trotzenden Genmischung zweier blonder, übergewichtiger Eltern aus der Berliner Unterschicht, vielleicht auch das Ergebnis eines Seitensprungs.
Raffaels wegen war bereit, sich ein weiteres Mal umzustellen. Vielleicht war er sogar ein wenig verliebt. N. vergaß er recht schnell, den Brief legte er in einen Karton und vergaß ihn ebenfalls.
12
N. und Jens waren ein Jahr zusammen gewesen, aber es hatte nicht geklappt, und jetzt sahen sie sich hin und wieder, manchmal mit Sex, manchmal ohne. N. hatte, soweit Jens wusste, keinen neuen Freund. Zumindest machte sie keine Andeutungen. Er selber hatte wieder jemanden, aber er war nicht wirklich begeistert von dieser anderen Geschichte. Der Sex mit N. war schon toll gewesen, das stand fest, auch wenn sie ansonsten extrem schwierig und
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