Gefühlte Nähe: Roman in 23 Paarungen (German Edition)
dagegen sein. Oder eine Droge. Dann werden die Grünen es eher akzeptieren.
Lass uns zehn Jahre zusammenbleiben, das ist realistisch. Ich kenne Paare, die zehn Jahre zusammen sind. Sogar länger.
Nach zehn Jahren, antwortete Born, hat man keinen guten Sex mehr. Dagegen kannst du nicht viel machen.
In zehn Jahren darfst du eine Affäre haben. Ich tu dann so, als ob ich nichts merke. Und wir haben dann eben schlechten Sex. So schlecht ist schlechter Sex auch wieder nicht.
Wenn ich eine Affäre habe, dann willst du auch eine. Ich will aber nicht, dass du in zehn Jahren eine Affäre hast. Jetzt muss ich die ganzen nächsten zehn Jahre an diese verdammte Affäre denken. Noch acht Jahre. Noch sechs. Noch zwei.
Du bist das Happy End, sagte Born. Die Geschichte ist zu Ende, das Publikum geht zufrieden nach Hause.
Bullshit, antwortete N.
10
Acht Uhr. Marcello zieht sich an, setzt sich im Arbeitszimmer an seinen Schreibtisch und schreibt einen Brief. Er schreibt mit der Hand. Im Hintergrund ist leise Radiomusik zu hören. Einmal kommen Nachrichten.
Marcello schreibt an einen alten Freund, vielleicht seinen besten. Dabei ist er sich bewusst, dass Männer sich selten persönliche Briefe schreiben, schon gar nicht solche Briefe, wie er es nun zu tun beabsichtigt.
Marcello heißt in Wirklichkeit anders, er hat einen deutschen Vornamen, der ihm zu bieder klingt. Mit dem Spitznamen, den er seit seiner Schulzeit trägt, wegen einer Ähnlichkeit mit dem italienischen Schauspieler Marcello Mastroianni, ist er sehr einverstanden. Er verwendet fast nur noch diesen Namen. Er ist Ende vierzig, groß, breitschultrig, am Bauch setzte er seit einiger Zeit Fett an.
Marcello arbeitet an der Vorbereitung eines neuen, privaten Fernsehsenders, den es noch nicht gibt, der aber in den kommenden Jahren, vielleicht schon in einigen Monaten, ganz sicher kommen wird. Die politischen Verhältnisse in Deutschland haben sich geändert. Die Arbeit besteht aus Sitzungen, Hintergrundgesprächen, Planungen. Ideen müssen Gestalt annehmen. Es ist Pionierarbeit. Marcello sieht sich in der Tradition jener Männer, die einst Wälder gerodet, Flüsse schiffbar gemacht und Städte gegründet haben.
Vielleicht wird er nicht mehr dabei sein, wenn eines Tages die Ergebnisse seiner heutigen Arbeit sichtbar sein werden. Das liegt in der Natur der Sache. Vielleicht wird man sich an ihn erinnern. Vielleicht auch nicht.
Bis vor Kurzem hat er seinen Freund beneidet. Der Freund ist seit zwanzig Jahren verheiratet, er hat zwei Kinder, Bilanz: keine besonderen Vorkommnisse.
Die satte Zufriedenheit seines Freundes macht Marcello manchmal aggressiv. Andererseits spürt er, was seinen Freund betrifft, das gleiche Misstrauen, das er bei Olympiasiegern im Hundertmeterlauf hat oder bei den Helden der Tour de France. Das riecht nach Lüge. Trotzdem hat Marcello, in all diesen Jahren, niemals vermutet, dass sein Freund ihm ein Doppelleben verbirgt.
Seinen Freund hat er immer für einen ehrlichen Menschen gehalten, einen, der keine Abgründe hat. Würde der Freund aus einer Laune heraus seinen Namen ändern, wie Marcello es getan hat? Nicht einmal das. Der Freund klettert unverdrossen …
Vor einigen Monaten ist Marcello etwas ins Bewusstsein gedrungen. Ihm wurde klar, dass er, wenn es sich ergibt, seine Frau sehr wahrscheinlich verlassen wird. Wenn es sich nicht ergibt, wird er wohl mit ihr zusammenbleiben. Denn er ist, soweit er weiß, nicht unglücklich mit ihr. So könnte er es jedenfalls nicht nennen, »Unglück« wäre das falsche Wort. Das richtige Wort kennt er nicht. Er würde eine Trennung ganz sicher nicht anstreben, sie aber ebenso sicher geschehen lassen, wenn die Umstände sich in diese Richtung entwickeln.
Die Frage, ob sie bis ans Ende ihrer Tage zusammenbleiben oder nicht, hängt folglich von Zufällen ab. Diesen Gedanken fand er erschreckend. Dann wurde ihm klar, dass fast alles, was ihm jemals widerfahren war, vom Zufall abhing, und er beruhigte sich.
Marcello trägt ein teures Jackett, dessen Wert nicht auffällt, er hat Geschmack. Um acht Uhr zehn hat Marcello mit seinem Brief immer noch nicht angefangen. Es fällt ihm schwer, sich zu konzentrieren.
Sein Freund weiß, dass Marcello seit einigen Monaten der Liebhaber von N. ist. Er erinnert sich daran, wie er seinem Freund über N. erzählt hat. Der Freund lachte ihn aus. Aha, es hat dich wieder einmal erwischt, sagte er, Glückwunsch.
Nein, antwortete Marcello, das ist anders. Ich habe so
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