Gefühlte Nähe: Roman in 23 Paarungen (German Edition)
mehr ganz junge Schönheit, intelligent, mit Witz, bezaubernd kurzsichtig und, in den passenden Momenten, einer angemessenen Dosis Hemmungslosigkeit. Im Grunde fast eine Traumfrau, nur eine Spur zu nachlässig gekleidet. Sie moderierte im Nachmittagsprogramm eine Gesprächssendung, deren Namen Schlieffen sich nicht merken konnte, obwohl er ehrlich bemühte. Er hatte sich das immerhin einmal angeschaut und fand es schrecklich, was er, aus Taktgefühl, N. verschwieg. Sie saß da in einem Kreis sich über Nichtigkeiten streitender Menschen und wirkte ordinär, beinahe schon vulgär. Wenn jemand eine Schlüpfrigkeit äußerte, lachte sie, statt diese Person zum Schweigen zu bringen. Wenigstens sah sie dabei gut aus.
N. war nicht leicht zu durchschauen, auch das fand er attraktiv. Mitunter war sie kokett, mitunter sogar abweisend, dann wieder sehr anhänglich, und was sie wirklich wollte, wussten die Götter. Klaus von Schlieffen, der sich für einen Kenner hielt, wusste es nicht. Andererseits hatte er gelernt, die Frauen so zu nehmen, wie sie jeweils waren, diese Eigenschaft hielt er für die Grundlage seiner Erfolge bei ihnen.
Mit dem Landhaus in der Nähe der Müritz hatte Schlieffen auch den Gärtner des Schauspielers übernommen, einen dicken, durch eine rot leuchtende Narbe auf der Wange verunstalteten Menschen, der Schmerling hieß, wie der Boxer, nur mit einem zusätzlichen »r«, und der nach Schweiß und Zigarettenrauch roch. Schmerling war um die sechzig, früher hatte er für die LPG Schweinezucht betrieben. Die Narbe auf seiner Wange ging auf einen Schweinebiss zurück. Jetzt kümmerte er sich um Wochenendhäuser und züchtete auf eigene Rechnung Geflügel, beides natürlich unversteuert.
Als Klaus von Schlieffen zum ersten Mal N. für ein Wochenende an die Müritz mitnahm und am Freitagnachmittag seinen alten Porsche in die Garage manövrierte, stand Schmerling, auf einen Spaten gelehnt, im Garten, grüßte mit einem kurzen Winken und schaute. Schlieffen bemerkte Schmerlings Blicke, die N. ausführlicher musterten, als es nach Lage der Dinge angemessen gewesen wäre. Schmerlings Augen ließen N. nicht los, bis sie im Haus verschwand.
Als Schlieffen und N. zwei Stunden später das Haus wieder verließen, zwei Stunden, in denen sie das zwei Meter fünfzig breite Himmelbett des Schauspielers eingeweiht hatten, eine Sonderanfertigung, die Schlieffen für 3000 Mark übernommen hatte, einen Bruchteil der Originalkosten, stand Schmerling noch immer im Garten, wieder schaute er.
Sie fuhren in das nächstgelegene Restaurant, zwei Dörfer weiter, die Sieben Raben. Die Bedienung fragte: »Sie wollen doch nicht etwa was essen?« Die Küche sei geschlossen. Gegrüßt hatte die Frau nicht.
Die Tatsache, dass Klaus von Schlieffen wie ein Mann aussah, der ohne Weiteres zur Zahlung von Trinkgeld in für diese Region exorbitanter Höhe in der Lage war, ein Mann, der die Sieben Raben wieder und wieder, fast jeden Abend, zu besuchen und jedes Mal eine Zeche in hier nie da gewesener Höhe zu hinterlassen imstande gewesen wäre, vorausgesetzt, er fühlte sich wohl, all dies nützte ihm, wie er nicht zum ersten Mal feststellte, in dieser Gegend nicht das Geringste.
Also versuchten sie ihr Glück in der nächstgelegenen Stadt, deren Namen Schlieffen erst auf der Karte suchen musste, bevor er sie in sein Navigationsgerät eingab. Dort fanden sie eine Pizzeria, in der sie die einzigen Gäste waren. Die Kellnerin und der Mann hinter der Theke sprachen miteinander eine slawisches Idiom, Polnisch wahrscheinlich, oder Kryptokaschubisch, wie Schlieffen N. lächelnd zuflüsterte. Er frage N., ob sie die Blicke von Schmerling bemerkt habe. N. lachte, er müsse nicht eifersüchtig sein. Obwohl, sie werde sich den Gärtner mal genauer anschauen; womöglich sei er ihr Typ.
N. war diesmal anders als sonst. Während der Fahrt war sie schweigsam gewesen. Schlieffen hatte gespürt, dass sie ihn immer wieder von der Seite ansah. Auch jetzt wirkte sie verträumt, spielte mit ihrer Serviette und gab einsilbige Antworten, dabei wirkte sie nicht unfreundlich.
»Ist was?«, fragte Schlieffen. Ihm war bewusst, wie sehr er selber es hasste, wenn jemand ihm diese Frage stellte.
»Wart’s ab«, sagte N. »Du wirst schon sehen.«
Klaus von Schlieffen war kein Freund von Überraschungen. »Da bin ich aber gespannt«, sagte er. »Das ist ja wie Weihnachten, das ist schön. Das wird unser erstes gemeinsames Weihnachten, mitten im Sommer.«
»Ach,
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