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Gefühlte Nähe: Roman in 23 Paarungen (German Edition)

Gefühlte Nähe: Roman in 23 Paarungen (German Edition)

Titel: Gefühlte Nähe: Roman in 23 Paarungen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harald Martenstein
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reserviert war. Es war sehr laut, sodass sie sich nicht unterhalten konnten. Als die Frau ihn in einer Pause fragte, ob das Konzert ihm gefalle, antwortete Rost, das wisse er nicht. Er sah sich vorsichtig um. Es konnte sein, dass auch N. in Begleitung da war, aber er sah überhaupt niemanden, den er kannte. Nach einer Weile legte er den Arm um die Frau, zuerst um ihre Hüfte, später auf ihre Schulter. Sie lehnte sich gegen ihn. Sicher rechnete sie damit, dass er sie küsste. Rost überlegte, welcher Moment dazu am ehesten geeignet war, wahrscheinlich, wenn die Band ein etwas langsameres und romantisches Stück spielte, zum Beispiel ihren großen Hit, den Rost aus dem Radio kannte. Der Hit kam, wie zu erwarten war, zum Schluss des offiziellen Programms, vor den Zugaben. Er hatte wirklich etwas an sich, das Rost gefiel, ein schleppender Beat, der minutenlang fast nicht von der Stelle kam, bis die Gitarren einsetzten, und dann endlich die Stimme des Sängers, eines sehr großen Amerikaners, der einfach nur Sam genannt wurde und schon ein bisschen in die Breite ging. Der Sänger wiederholte immer wieder die gleichen drei oder vier Zeilen, die Rust aber nicht verstand. Er fasste die Frau an den Hüften etwas fester, daraufhin drehte sie sich halb um und hob ein wenig den Kopf, sodass er sie leichter küssen konnte. Ihre Zunge war kleiner als die Zunge von N. und bewegte sich schnell hin und her.
    Während der Zugaben, es gab zwei, küssten sie sich weiter. Nach dem Konzert gingen sie zu einem Empfang, backstage, nur für Ehrengäste. Die Frau kannte fast alle Leute, die dort waren, und stellte ihn ihrem Chef vor, was Rost unangenehm war. Es gab Getränke und belegte Brötchen, nach einer Weile tauchten auch die Musiker auf. Der Sänger Sam trug ein frisches Hemd und trank sehr schnell Rotwein, er wirkte erleichtert und müde. Er ging zu der Frau, ohne Rost zur Kenntnis zu nehmen, und fragte sie, ob sie Lust hätte, nachher noch mit ihm zu einer privaten Party zu gehen. Die Frau lachte, nein, dazu hatte sie keine Lust. Zu Rost sagte sie, dass sie jetzt nicht mehr bleiben müssten, sie könnten, falls er möge, ruhig woanders hingehen.
    Im Taxi nannte Rust seine Adresse, die Frau legte ihren Kopf auf seine Schulter und sprach über ihre Kollegen aus der Organisation, die er ja jetzt kenne. Sie erzählte, wer nett sei und kollegial und wer ein faules, tückisches Arschloch sei, dieses Wort passte, fand Rust, irgendwie nicht zu ihr. Seine Wohnung, fiel ihm ein, war in einem furchtbaren Zustand, seit N. nicht mehr zu ihm kam, ließ er die Wohnung regelrecht verkommen. Deshalb machte er das Licht nicht an, es war auch nicht nötig. Die Frau war nicht so aktiv und bestimmt wie N., die immer sagte, worauf sie Lust hatte, und seine Hände dorthin führte, wo sie es haben wollte. Die Frau dagegen wartete ab, was er tat, machte dann aber alles mit. N. war leise, fast unhörbar, die Frau keuchte laut und stöhnte, ein- oder zweimal rief sie etwas. Rust versuchte, nicht an N. zu denken, während er mit der Frau schlief, weil er so etwas gemein fand der Frau gegenüber, obwohl die es ja sowieso nicht gemerkt hätte.
    Bald nachdem sie fertig waren, wollte die Frau gehen, ohne Dusche sogar, sie müsse morgen sehr früh ihr Kind wecken und zur Schule bringen, das tue ihr jetzt echt leid, sie wäre wahnsinnig gerne geblieben. Rust hatte den Eindruck, dass sie die Wahrheit sagte, obwohl ein Kind natürlich auch eine gute Ausrede ist, wenn es einem nicht gefallen hat und man schnell Land gewinnen will. Er brachte sie zum Taxistand. Dabei fiel ihm ein, dass aus seiner Dusche seit zwei Tagen nur noch kaltes Wasser kam, wieso auch immer. Insofern war es ganz gut, dass die Frau nicht duschen wollte.
    Zu Hause holte er den Schuhkarton heraus, in dem er die Briefe und die Fotos von N. aufbewahrte, auch die Musikkassetten mit ihren Lieblingssongs, er überlegte kurz, ob er »Love Theme« von Barry White hören sollte, aber um diese Uhrzeit ging das nicht. Der Schmerz überfiel ihn mit einer Heftigkeit wie schon lange nicht mehr, wie in den ersten Wochen, und plötzlich konnte er sich wieder an Details aus ihrer gemeinsamen Zeit erinnern, die er schon vergessen hatte, einen bestimmten Leberfleck von N. oder die Art, wie sie sich beim Aufwachen räkelte oder wie sie einmal nebeneinander auf dem Küchenboden gelegen und sich Geschichten erzählt hatten.
    Die Frau rief ihn am nächsten Mittag an und fragte, wann sie sich wiedersehen könnten. Rost

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