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Gefühlte Nähe: Roman in 23 Paarungen (German Edition)

Gefühlte Nähe: Roman in 23 Paarungen (German Edition)

Titel: Gefühlte Nähe: Roman in 23 Paarungen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harald Martenstein
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sagte, dass er zurzeit sehr viele Termine habe, auch kurz verreisen müsse, in den nächsten Tagen passe es gar nicht, aber in der nächsten Woche. Zum Teil stimmte das. Er wollte aber auch Zeit gewinnen, Zeit war überhaupt das Wichtigste. Rost fragte sich, was er mit dem Teil seines Lebens, der ihn mit N. verband, diesen fünf Jahren, nun anfangen sollte, diesen Erinnerungen, die jetzt zu nichts mehr gut waren und für die niemand sich jemals interessieren würde.

16
     
    Klaus von Schlieffen war ein gut aussehender Mann mit nahezu perfekten Manieren und einem gewinnenden Lächeln, groß, dunkelhaarig, an den Schläfen allmählich ergrauend, zu früh, wie er fand. Vor nicht allzu langer Zeit hatte er seinen vierzigsten Geburtstag gefeiert. Von dem Erbteil, das sein Vater ihm zu Lebzeiten ausgezahlt hatte, um Steuern zu sparen, hatte er sich einige Firmenbeteiligungen gekauft, immer nur kleine Anteile, um das Risiko zu streuen und um nicht allzu sehr mit den geschäftlichen Entscheidungen des jeweiligen Unternehmens belästigt zu werden. Das sollten andere übernehmen, die mehr davon verstanden als er. Nach dem Zusammenbruch der DDR hatte er außerdem eine Reihe von Immobilien in Ostdeutschland erworben, zusätzlich zu den Ländereien, die den Schlieffens im Rahmen der Rückübertragung enteigneten Eigentums zugefallen waren und die er, für 20 Prozent Beteiligung an anfallenden Gewinnen, für die Familie verwaltete. Das machte, im Moment jedenfalls, wenig Arbeit, brachte aber auch wenig ein, was Klaus von Schlieffen ziemlich egal war.
    In seinen Zwanzigern hatte er Germanistik studiert, sogar promoviert. Die dabei erworbenen Kenntnisse waren ihm eigentlich nur bei Abendessen oder bei Partys von Nutzen, vor allem, wenn eine schöne und belesene Frau seinen Weg kreuzte. Bei seinen Freunden galt Klaus von Schlieffen als unersättlicher Verführer. Er selber glaubte, sich immer wieder rasend, seelenzerfetzend und letztlich hoffnungslos zu verlieben. Warum ihm diese Lieben ein um das andere Mal unter den Händen zerfielen, begriff er nicht. Sobald er glaubte, verstanden zu haben, wie eine Frau funktionierte, verlor er das Interesse an ihr, das immerhin war ihm klar. Auch die Fragwürdigkeit des Begriffs »funktionieren« in einem solchen Zusammenhang war ihm bewusst. Er hatte vor, an sich zu arbeiten, wusste allerdings nicht genau, wie eine solche Arbeit aussehen könnte.
    Seit einigen Monaten besaß Klaus von Schlieffen ein altes Herrenhaus in der Nähe der Müritz, eingebettet in eine Seenlandschaft mit dunklen Wäldern. Praktischerweise war das Anwesen bereits auf geschmackvolle Weise renoviert. Der Vorbesitzer, ein Schauspieler, hatte das Haus nach der Instandsetzung nur ein oder zwei Jahre genutzt und brauchte Geld, weil er windigen Vermögensberatern aufgesessen war. Mit 4000 Quadratmetern war das Grundstück recht groß, aber noch übersichtlich. An seinem Rand ging es in ein mit alten Weiden bestandenes Moorgelände über, aber die Belästigung durch Insekten hielt sich in Grenzen.
    Schlieffen beabsichtigte, die Wochenenden hier zu verbringen, um in der mecklenburgischen Einsamkeit seine Literaturkenntnisse aufzufrischen, an seiner Persönlichkeit, wie auch immer, zu arbeiten und sich über seinen weiteren Lebensweg Klarheit zu verschaffen. Außerdem wollte er hier zumindest gelegentlich Liebesnächte mit N. verbringen, die seit einigen Monaten seine Gefährtin und ausschließliche Sexualpartnerin war. Letzteres war bei Schlieffen alles andere als selbstverständlich. Das Leben hatte ihn gelehrt, dass er auch mehrere Liebesverhältnisse, bei denen er tiefe Zuneigung, stundenlange Leidenschaft, Herzrasen und alle möglichen anderen Symptome empfand, relativ mühelos miteinander verbinden konnte. Ihn erstaunte das selber.
    N. hatte er bei einer exklusiven Lesung seiner Hausbank kennengelernt, als sie mit dem schon ein wenig gebrechlichen, seit zwanzig Jahren für den Nobelpreis gehandelten amerikanischen Autor noch bei einem Glas Wein beisammenstanden, der Amerikaner trank Wasser. Sie war mit ihrem damaligen Freund gekommen, Bodo Gerster, einem Fernsehmoderator in stark spannendem Jackett, der schon zu Schlieffens Teenagerzeiten auf Sendung und, wie Schlieffen wusste, seit Jahrzehnten verheiratet war. Die beiden stritten sich, zischend wie ein Schlangenpärchen, in jedem Moment, in dem sie sich unbeobachtet glaubten. Das Ganze war für Klaus von Schlieffen eine leichte Sache gewesen.
    N. war eine aparte, nicht

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