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Gefühlte Nähe: Roman in 23 Paarungen (German Edition)

Gefühlte Nähe: Roman in 23 Paarungen (German Edition)

Titel: Gefühlte Nähe: Roman in 23 Paarungen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harald Martenstein
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in diesem Fall hatte Adam die Eva erkannt. Das war ein Anfang. Nun musste auch Eva den Adam erkennen. Aber wie sollte er das anstellen?
    Dies war die Frage, die ihn in den folgenden Tagen beschäftigte, während er Kisten auflud und wieder ablud, während er die Frau über den Hof gehen und wieder zurückgehen sah, während er registrierte, dass sie jeden Tag die gleichen Jeans trug, die Haare aber manchmal offen, manchmal zusammengebunden. Er registrierte, dass sie mit einem Mofa zur Arbeit fuhr wie er, dass sie nach der Arbeit nicht abgeholt wurde wie er und dass aus ihrer Umhängetasche manchmal Zeitschriften herausschauten, die er ebenfalls las, zum Beispiel »konkret«.
    Er entschloss sich, ihr einen Brief zu schreiben. In diesem Brief gestand er ihr, dass er sie beobachtet hatte, das erste Mal aus Zufall, mehr oder weniger, das zweite Mal gezielt, danach nicht mehr.
    Er schrieb, dass er sich deswegen sehr wahrscheinlich schämen müsse. Aber er schäme sich nicht. Er schrieb, dass Liebe nicht bedeute, die Einsamkeit zu überwinden, in die jeder Mensch nun einmal rettungslos eingesperrt sei, sondern diese Einsamkeit zu teilen. Zu zweit einsam zu sein, das auszuhalten, ohne sich Illusionen zu machen und ohne Angst zu bekommen, sei das höchstmögliche Glück. Er schrieb mit einem Pathos, das er an sich nicht kannte, auch kitschig, das war ihm schon klar, aber trotzdem nicht unintelligent. Jedenfalls kam es ihm so vor. Danach packte er den Brief in seine Sporttasche, ganz unten. Unmöglich, das abzuschicken.
    Ein- oder zweimal nickte sie ihm zu, morgens, beim Betreten der Fabrik. Man kannte sich inzwischen vom Sehen. Bis die Ferien vorbei waren, hatte er ihren Namen und ihre Schule herausgefunden, auch ihre Adresse. Er fuhr, absichtlich, möglichst oft am Haus ihrer Eltern vorbei, einem Reihenhaus mit Blumenkästen voller Geranien, sah sie dabei aber nie. Er ging zu einer Party, die regelmäßig samstags von der Kirche veranstaltet wurde, sonst war in der Stadt ja nicht viel los. Dort sah er sie mehrere Male, sie erkannte ihn aber nicht oder wollte ihn nicht erkennen. Sie tanzte auch nicht, sie trank Sinalco und ging immer früh.
    Im Sommer, die Abiturprüfungen lagen schon hinter ihnen, folgte er ihr ins Freibad. Sie hatte ihren festen Platz, und er hatte seinen festen Platz, von dem aus er sie gut sehen konnte.
    Er glaubte inzwischen fest daran, dass er sie liebte, und er fragte sich, wie viele Lieben dieser Art es wohl gab auf der Welt. Wie viele von den Männern, die auf ihren Handtüchern lagen, lasen und von Zeit zu Zeit, scheinbar zufällig, aufblickten, waren aus dem gleichen Grund hier wie er? Sicher einige. Vielleicht hatte jede Frau, oder fast jede, einen oder mehrere wie ihn.
    In Gedanken war er schon so oft ihr Geliebter gewesen, dass er es gar nicht mehr zählen konnte, und der Vorsatz, sie eines Tages anzusprechen, ließ allmählich nach. Nicht, weil sie ihm gleichgültiger wurde, sondern weil er zu wissen glaubte, dass die Realität den Bildern seiner Phantasie nicht würde standhalten können. Die gefühlte Nähe genügte ihm.
    Solange er lebte, blieb Gunnar Reich der Begleiter von N., und er hörte nicht auf, sich die Frage zu stellen, wie viele von seiner Art es wohl gab, wie groß die Schattenarmee der unerkannten Liebenden wohl war. Geister, Unsichtbare, Untote, die nur in der Dunkelheit unterwegs sind.
    Als sie zu studieren anfing, an derselben Universität wie er, sah Gunnar Reich sie manchmal in der Mensa. Wenn sie dort längere Zeit mit jemandem sprach, dann suchte Gunnar Reich die Nähe dieser Person, um etwas über sie herauszufinden. Er wusste, dass sie bei ihren Eltern ausgezogen war, sich mit den Eltern aber ganz gut verstand, dass sie unheimlich viel las, mit einer Kurzgeschichte an einem Literaturwettbewerb teilgenommen hatte und E-Gitarre lernte, es aber nach ein paar Wochen wieder abbrach, weil sie den Gitarrenlehrer bescheuert fand. Gemeinsam mit N. besuchte er zwei oder drei Seminare, sie nickten sich wieder zu, aber sprachen auch diesmal nicht miteinander und besuchten auch verschiedene Arbeitsgruppen. Er war sehr vorsichtig. Seine Leidenschaft fiel niemals auf.
    Als sie anfing, für eine Musikzeitschrift Kritiken zu verfassen, freundete Gunnar Reich sich mit einem der Redakteure an. Er wusste, dass N. ungefähr ab August des Abiturjahres einen Freund hatte, der Tobias hieß und mit dem sie einige Wochen nach Indien fuhr, Goa und so weiter, er wusste von Doubek, er hörte etwas

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