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Gefühltes Wissen

Gefühltes Wissen

Titel: Gefühltes Wissen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Evers
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unten einen Zettel aufgehängt habe: «Bitte immer die Tür abschließen!» Seitdem sei sie immer offen.
    Hinter Braunschweig sieht's auch nicht viel anders aus als vor Braunschweig. Mir wird ein bisschen langweilig. Früher, wenn's mir in der Bahn langweilig wurde, habe ich gerne mein Telefon genommen, meine Reisetasche geöffnet, den Kopf mit Telefon da reingesteckt und, speziell in Gebieten mit sehr schlechtem Empfang, ganz, ganz laut gerufen: «Ja, ja, ich höre dich sehr gut, du hattest recht, diese Tasche bündelt und verstärkt den Empfang echt ganz enorm, ich kann dich absolut gut verstehen, obwohl wir im Moment fast gar kein Netz haben.» Zuerst bin ich mir blöd vorgekommen, aber seit immer mehr Fahrgäste hinterher gefragt haben, ob sie mal die Tasche benutzen dürften, oder sich nach dem Fabrikat erkundigten, machte es mir immer mehr Spaß. Ich liebe es, wenn sie Minuten später zerzaust und enttäuscht wieder aus der Tasche hervorkommen: «Nee, schade, bei mir funktioniert es nicht.»
    Ich mag sehr an dieser Zeit, dass mittlerweile immer mehr Menschen bereit sind, praktisch alles für möglich zu halten, auch dass sie mit dem Kopf in der Reisetasche einen besseren Handyempfang haben.
    In München, auch in einer Bahnhofskneipe, hängt auf der Toilette ein Zettel: «Fotografieren verboten!»
    Wenn man diese Toilette gesehen hat, weiß man allerdings ganz genau, warum der Wirt diesen Zettel aufgehängt hat.
    Trotzdem schade.
    Die Durchsage behauptet, wir haben 15 Minuten Verspätung. Angeblich wegen Geröllverschüttungen. Ich glaub ihr kein Wort. Offiziellen Stellen glaub ich gar nichts mehr. Nicht dass das irgendwas verändern würde, ich glaub's halt nur nicht. Fertig. Geröllverschüttungen. Zwischen Braunschweig und Berlin? Ich hab mal gehört, bei der Bahn gibt es längst Kreativwettbewerbe fürs Personal: für besonders originelle Verspätungsgründe. Für die besten und originellsten Ideen gibt es richtig hohe Prämien. Der, der sich diese Geröllverschüttungen ausgedacht hat, ist wahrscheinlich in Bahnkreisen mittlerweile ein richtiger Star. Dafür brauchten die also die Preiserhöhungen.
    Und 2,60 Euro für diesen Mitropa-Kaffee sind definitiv zu teuer. Das wollt ich schon immer mal sagen. Außerdem finde ich es ungerecht, dass man nach einem Kaffee immer dreimal auf Toilette muss. Einmal pro Kaffee, das fände ich gerecht. Würd keiner was sagen. Aber dreimal, das ist doch nicht gerecht. Da ist man ja nur am Rennen. Jetzt muss ich schon wieder. Und dann kommt man zurück, weiß gar nicht mehr, wo man war, schreibt irgendwo weiter, und hinterher hat man dann im Text diese Sprünge…
    Der Mann einen Waggon weiter hat auch ziemlich gequält auf seinen Laptop geguckt. Will wahrscheinlich auch was schreiben. Hat wahrscheinlich auch keine Idee. Er tut mir leid. Gehe nochmal zur Toilette zurück und hänge dort einen Zettel auf:
    «Bitte keine Tiere in der Toilette zurücklassen!» So, wenn er jetzt nochmal auf Toilette muss, hat er dann doch auch was, worüber er schreiben kann. Ich bin schon ziemlich nett. Raune ihm beim Zurückgehen zu: «Trink doch mal 'nen Kaffee!»
    Ein Freund erzählte mir, in Fulda hängt an einer wohl irgendwie historischen Toilette in der Nähe des Doms ein Zettel: «Dies ist keine Toilette! Bitte benutzen Sie die Anlagen im Park vor der Orangerie! «
    Ein verwirrender Zettel, der auch noch unglücklich formuliert ist. Welche Anlagen im Park?
    Berlin-Charlottenburg. Der Zug ist gleich da. Na, das heißt dann ja wohl, dass dieser Text damit fertig ist. Schön. Ich packe zusammen.
    Der Zug bleibt stehen. Auf offener Strecke, kurz hinter Charlottenburg. Warum? Heißt das, der Zug ist der Meinung, der Text ist doch noch nicht fertig? Wie kann er das wissen? Hm. Intelligente Maschinen? Züge? Jetzt hör mir aber mal auf. Aber ich lass mich nicht von der Technik terrorisieren. Ich mach nix. Ich kann warten.
    … Der Zug kann auch ziemlich gut warten.
    Die anderen Fahrgäste werden ziemlich sauer. Hoffentlich merken die nicht, dass das meine Schuld ist, dass der Zug hier steht…
    Die Durchsage behauptet, ich sei gar nicht schuld. Es gebe Probleme mit der städtischen Stromversorgung. Na, da wird sich aber jemand eine ganz schöne Prämie verdient haben. Ganz langsam, im Schritttempo rollen wir jetzt durch Berlin. Mensch, das kann auch richtig schön sein. Die Stadt sieht ganz anders aus. Man muss nur mal langsamer gucken. Ganz anders.
    Bahnhof Zoo. Endlich. Knapp eine Stunde

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