Gefühltes Wissen
an. Er lächelt gequält, steckt sie ein und sagt: «Is' schon okay.» Mittlerweile laufen seine Augen fast vor Mitleid über. Wir wissen beide noch nicht, dass mir dieser jetzt noch so elegant aussehende Mann nur eine Woche später in einem erstaunlich ungepflegten T-Shirt schon an der Tür wutentbrannt Hausverbot erteilen wird, weil alle seine weißen Hemden in der Reinigung verloren gegangen sind. Aber das ist eine andere Geschichte.
Ein paar Tage später flog Sylvia Brandt nach Australien, und ich kümmerte mich um ihre Katze. Zwar hasste mich das Tier von der ersten Sekunde an, aber ich fütterte es trotzdem. Alles war okay, bis ich drei Tage drauf einen Anruf bekam.
Ein gewisser Kevin, der sich als fester Freund von Sylvia vorstellte und wissen wollte, ob es stimme, dass ich Sylvias Katze fütterte.
- Ja, warum?
- Ach klar, wunderbar. Find ich super. Und wieso hat sie denn dir den Schlüssel gegeben und nich mir, hm, hm, haste da irgend 'ne Idee oder so, hm.
- Na ja, nee, äh, vielleicht wollt se dir nicht lästig fallen oder so, was weiß ich?
- Ja klar. Nee, is' super, find ich richtig toll, find ich ganz wunderbar, total klasse, na, wenn ihr euer Ding so durchziehn wollt, meinetwegen, mir scheißegal. Aber da is' das letzte Wort noch nicht gesprochen, verstehste, da kommste mir so nich' mit durch, nich' mit mir. Ich muss in die Wohnung, ich, ich hab da noch Sachen. Verstehste? Die brauch ich. Alle. Verstehste? Ich bin in zwei Stunden da.
Er legt auf. Zwei Minuten später ruft Sylvia an.
- Hallo, Horst, ganz schnell. Falls sich Kevin meldet, ignorier ihn. Er ist ein Idiot. Ich hab schon vor über einem Monat mit ihm Schluss gemacht, aber er will's immer noch nicht wahrhaben. Lässt mich einfach nicht in Ruhe. Ehrlich gesagt, er macht mir langsam Angst, provozier ihn lieber nicht, er ist Kickboxer, und lass ihn um Gottes willen nicht in die Wohnung. Danke, tschüs!
Denke: Ääääähhh… und dann: Na ja, wird sich schon alles wieder einrenken. Beschließe aber, für die nächsten fünf, sechs Stunden das Haus vorsorglich zu verlassen.
Als ich zurückkomme, sehe ich einen jungen Mann hektisch vor dem Haus auf und ab gehen. Vermutlich Kevin. Gehe in eine nahe Kneipe und gucke von da alle halbe Stunde, ob die Luft rein ist. Erst gegen halb sechs Uhr morgens komme ich wieder in meine Wohnung. Die nächsten Tage verbringe ich in ständiger Angst und öffne niemandem die Tür. Alles bleibt ruhig. Bis heute Morgen plötzlich die Polizei anruft.
- Herr Evers.
- Ja.
- Ja, schönen guten Morgen, hier ist Hauptkommissar Reibnitz. Wir haben hier eine besorgte Anfrage des Bürgers Kevin Somann. Was wissen Sie über den Verbleib von Frau Sylvia Brandt?
- Na, die ist für zwei Monate in Australien.
- Nee, wir haben alle infrage kommenden Flüge überprüft. In den letzten Wochen ist keine Sylvia Brandt nach Australien geflogen.
- Aber…
- Na, nu machen Se sich mal keine Sorgen. Wir schicken Ihnen bei nächster Gelegenheit zwei Beamte vorbei. Bitte verlassen Sie nicht die Wohnung. Bis gleich.
Jetzt, finde ich, ist ein guter Moment, Sylvias Handynummer auf der Zeitung zu finden. Wühle seitdem das Altpapier durch. Entdecke am Karton Nagerspuren. Mist, eine Maus, na ja, kein Problem, hab ja Zugriff auf eine Katze. Hole sie hoch. Das Tier wehrt sich mit Pfoten und Pfoten. Als sie nach zwei Minuten in meiner Wohnung die Tapete zerkratzt, den Mülleimer umgeworfen und einen Sessel zerfetzt hat, stelle ich fest, dass das eine Scheißidee war. Aber jetzt lässt sie sich nicht nochmal einfangen. Seitdem läuft die Katze in meiner Wohnung Amok. Und jetzt klingeln auch noch die Polizisten Sturm. Renne zum Küchenfenster, um zu schauen, ob ich vielleicht übers Dach… Die Katze wühlt im Müll und zerfetzt mit zwei Tatzenschlägen eine alte Zeitung, um an alte Fischreste zu kommen, und auf der Zeitung: die Nummer. In einem kurzen Handgemenge entreiße ich der Katze die Nummer, stürze zum Telefon, tippe sie ein:
- Hallo Sylvia!
- Was?
- Sylvia… ich… die Polizei!
- Ach, Horst, du bist es. Hier ist nicht Sylvia. Hier ist Carola, weißt du noch, deine Exfreundin.
- Was?
- Schön, dass du anrufst. Ich hatte noch gar keine Gelegenheit, mich für den Kuchen zu bedanken.
- Was?
- Der Kuchen, den du mir geschickt hast. Ich hab ihn zusammen mit meiner Mitbewohnerin Sabine Jansen ausgepackt. War leider nicht mehr gut…
- Was?
Höre, wie die Polizisten mittlerweile an die Wohnungstür hämmern. Irgendwer muss
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