Gefühltes Wissen
er die letzte Nudel plötzlich wieder ab, lächelt zu seinem Kind hinüber: «Tut mir leid, aber ich schaff's nicht.» Steht auf und geht wie ein Herr zur Toilette. Er wird lange Zeit dort sein.
Ja, wir haben sie noch, die wahren Helden. In Rheine, da sitzen sie und essen Nudeln.
Alle Wege führen nach…
… Öhringen
Bin auf dem Weg zum Veranstaltungsort Kultura. Frage einen Passanten nach dem Weg. Er ist freundlich.
- Oh, das ist kein Problem, zur Kultura , da fahrn Sie einfach über die Autobrücke und dann…
- O nee, ich bin zu Fuß.
- Zu Fuß? O ja dann… zu Fuß…
Er kommt ins Nachdenken.
- Wie kommt man zu Fuß zur Kultura ? Da gehn Sie… nee, da müssen Sie, nee, da kommen Sie auch nich' durch, na dann einfach, obwohl, nee, das haut nich' hin… Wissen Sie, ich bin auch erst Ende der 70er hergezogen, zu Fuß bin ich das noch nie gelaufen. Zu Fuß zur Kultura …
Er denkt nach. Lange. Sehr, sehr lange. Und dann noch etwas länger:
- Zu Fuß zur Kultura …
Sein Blick wird traurig. Er unterdrückt ein paar Tränen. Plötzlich schaut er auf, strahlt und ruft zur anderen Straßenseite:
- He, Lutz, wie kommt man zu Fuß zur Kultura?
- Na, fährste einfach über die Autobrücke…
- Neenee, zu Fuß.
- Wie, zu Fuß?
- Na, ohne Auto!
- Wie, ohne Auto? Versteh ich nich'. Was soll der Quatsch? Lass mich doch mit so'm Scheiß in Ruhe.
Lutz geht weiter. Jetzt rollen die ersten Tränen über die Wangen meines freundlichen Passanten. Ich sage:
- Is' nich so schlimm. Ich find das schon. Vielen Dank.
Er greift mich am Arm.
- Nein, nein, wir kriegen das raus.
Er zerrt mich drei Häuser weiter und klingelt da im zweiten Stock.
- Wenn wir Glück haben, ist die alte Frau Schmidek zu Hause. Die wohnt schon ewig hier, und die geht öfter mal zu Fuß, die könnte so was wissen…
…Germering
Muss nach Germering bei München. Spiele dort in der Stadthalle. Das heißt, nicht in der Stadthalle selbst, sondern in einem kleinen Klub in der Stadthalle. Der Klub heißt Nachtasyl , schließt aber immer spätestens um 23.00 Uhr. Beschließe, den Veranstalter nicht darauf anzusprechen. Geht mich ja nix an, müssen die ja selber wissen.
Aufgrund meiner Öhringen-Erfahrungen erfrage ich den Weg diesmal schon in Berlin, mit der «Von-Haus-zu-Haus-Auskunft von www.bahn.de». Die sagt mir, ich soll einfach bis München fahren, dann in die S-Bahn, und vorm S-Bahnhof Germering fahrt dann ein Bus, der mich bis direkt vor die Stadthalle fahrt. Was sie mir nicht sagt, ist, dass die Stadthalle Germering vom S-Bahnhof Germering in etwa so weit entfernt ist wie der Zoologische Garten vom Bahnhof Zoo. Sie steht wirklich direkt daneben, und sie ist sehr, sehr groß. Ich aber, am S-Bahnhof Germering angekommen, guck da nicht lange hoch, ich weiß ja von www.bahn.de, wie ich zur Stadthalle komme, was soll ich da noch lange in die Stadt gucken, mach ich ja in Berlin auch nie. Schlurfe stattdessen mit all meinem Gepäck, im Hochsommer, schwer schwitzend und tropfend, zur Bushaltestelle. Erfahre vom Plan, dass ein Bus gerade gefahren ist, der nächste in 30 Minuten kommt. Nach fünf Minuten Warten und Tropfen frage ich dann doch einen Passanten.
- Entschuldigen Sie, zur Stadthalle, wie weit ist das? Kann man das auch laufen?
Er starrt mich an. Nach ungefähr einer Minute frage ich nochmal.
- Zur Stadthalle. Wie lange laufe ich da ungefähr?
Er starrt mich immer noch an. Runzelt die Stirn. Schaut nochmal zur Seite, ob die Stadthalle noch da ist. Ja, ist noch da. Dann sagt er:
- Naja, kommt ganz drauf an, wie schnell Sie so gehen.
Jetzt starre ich ihn an. Er grinst.
- Naja, gehn Se mal zehn Meter, dann schätz ich.
…Öhringen 2
Mittlerweile sitzen wir seit gut einer halben Stunde bei Frau Schmidek oben und diskutieren über den Fußweg zur Kultura. Frau Schmidek ist sich sicher, dass sie mal als Kind zu Fuß zu dem Gelände, wo heute die Kultura ist, gelaufen ist, aber sie kann sich einfach nicht mehr an den genauen Weg erinnern. Längst hat man aus dem ganzen Haus unzählige Menschen in Frau Schmideks Wohnung gebeten. Alle diskutieren emsig mit. Es ist sehr laut. Sogar Herr Stamann vom Heimatmuseum ist gekommen. Er hat einige historische Stadtpläne mitgebracht, auf denen jetzt fleißig nach alten Fußwegen gesucht wird. Frau Schmidek reicht Likör. Die Stimmung ist eigentlich ganz gut. Dennoch kriecht auch langsam eine gewisse Verzweiflung hoch. Kurz bevor niemand mehr Hoffnung hat, springt mein erster Passant
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