Gegen alle Feinde - Clancy, T: Gegen alle Feinde - Against All Enemies
Sicarios erzählt. Danach würde ein Transporter ihn und die übrigen Mulos vom Lagerhaus abholen. Rueben bezweifelte allerdings, dass man sie tatsächlich heimbringen würde. Aber er hatte seinen Lohn bereits in bar erhalten und war bereit, ein paar Scheine der insgesamt tausend Dollar für eine Taxifahrt auszugeben.
Der Tunneleingang im Lagerhaus war sorgfältig in einem kleinen, schmalen Wartungsraum verborgen. In dessen Betonboden klaffte ein 1 , 40 Meter auf 1 , 40 Meter großes Loch. Eine hölzerne Treppe führte von dort hinunter zum Tunnelboden. Rueben stieg jetzt ganz vorsichtig diese Treppe hinunter, wobei er dem stämmi gen Mann vor ihm folgte. Als er sich unten nach rechts drehte, schaute er in einen unendlich lang wirkenden Tunnelschacht. Die Decke war fast 1 , 80 Meter hoch, und sein Rucksack schrammte nicht an den Tunnelseiten entlang. Er musste also eine Breite von wenigstens 90 Zentimeter haben. An der Decke waren LED -Lampen aufgehängt, als ob das Kartell ein Fest feiern wollte. Rueben bemerkte Belüftungsrohre und Elektrokabel. An der rechten Seite des Tunnelbodens verlief ein PVC -Rohr. Als sie weiter in den Tunnel hineinkamen, waren dessen Wände und Decken mit seltsamen weißen Paneelen bedeckt. Einer der Jungs hinter ihm erzählte, dass sie ihre Geräusche schlucken sollten.
Der Bluetooth in Ruebens Ohr begann zu jucken. Er wusste, dass die FBI -Typen, die bisher jeden seiner Schritte verfolgt hatten, gerade ihr Signal verloren. Selbst sein GPS -Transponder gab jetzt den Geist auf.
Allmählich bekam er klaustrophobische Anwandlungen. Er schaute sich kurz um, als die Paneele an den Wänden immer näher zu kommen schienen. Hinter ihm folgte eine lange Reihe von Mulos, gleichzeitig wurde der Abstand zwischen ihm und dem Dicken vor ihm immer größer.
»Los, mach schneller!«, rief sein Hintermann.
Rueben erhöhte das Tempo, bis er wieder zu seinem Vordermann aufgeschlossen hatte. Er atmete tief durch und versuchte, sich selbst zu beruhigen. Selbst wenn die Polizei sie alle am anderen Ende festnehmen würde, war ihm das jetzt egal. Er würde immer weitergehen. Man hatte ihn ja bereits umgedreht, und er hatte seinen Handel mit dem Teufel abgeschlossen. Jetzt gab es kein Zurück mehr. So war es eben, wenn man ein Mann war, der für seine Taten die Verantwortung übernehmen musste. Er hasste es.
Der Typ hinter ihm knurrte kurz und sagte dann: »Willkommen in Amerika.« An der Decke hatte jemand eine Linie gezogen und auf die eine Seite USA und auf die andere Mexiko geschrieben. Hier verlief also die Grenze. Rueben zuckte nur mit den Achseln und ging weiter. Ein kurzer Nebentunnel führte ein Stück nach rechts und endete in einer kleinen Andachtsstätte, auf deren Altar Kerzen brannten. Er wünschte, er hätte Zeit gehabt, für sich und seine Familie ein Gebet zu sprechen. Er wünschte sich, alles wäre anders gekommen. Dann dachte er an den Jungen ohne Zehen … und es schauderte ihn.
32
Schachfiguren im himmlischen
Königreich
Auf dem Weg zum Grenztunnel
Mexicali, Mexiko
P edro Romero hörte, wie einer der Araber den hochgewachsenen Mann »Samad« nannte. Er begann, ihn jetzt mit diesem Namen anzureden. Vielleicht konnte er ihn dadurch ein wenig verunsichern. Ich kenne deinen Namen. Das war zwar nur eine winzige Einflussmöglichkeit, aber alles, worüber Romero im Moment verfügte. Aber seine Zeit würde noch kommen, denn er hatte nicht wirklich aufgegeben und kapituliert. Noch nicht.
Er hatte noch ein Fünkchen Hoffnung.
Er hatte die Sicarios angerufen, die für die Kokainlieferung verantwortlich waren. Der frisch ernannte Unterführer José, ein Junge, der für Corrales gearbeitet hatte und jetzt von allen El Jefe genannt werden wollte, hatte Romero angeschrien, er könne nicht einfach alle Leute aus dem Tunnel herausholen.
»Diese Befehle stammen von Corrales persönlich.«
»Wo ist Corrales? Wo hat er gesteckt? Niemand hat seit einiger Zeit etwas von ihm gesehen oder gehört. Deshalb bin ich jetzt auch für diese Lieferung verantwortlich. Das hier ist meine Operation.«
»Jetzt seien Sie bitte ruhig und hören mir zu. Ich möchte, dass alle diese Leute innerhalb von zehn Minuten diesen Tunnel und dieses Haus verlassen. Wenn Sie das nicht schaffen, wird Sie Corrales dafür zur Rechenschaft ziehen.«
»Das glaube ich Ihnen nicht.«
»Wenn Sie dieses Risiko eingehen wollen, ist mir das auch recht. Aber Sie werden sterben, junger Mann. Sie werden ganz bestimmt sterben.«
José
Weitere Kostenlose Bücher