Gegen alle Zeit
südlich der Themse gelegenen Southwark herum, aber ihre Wohnung hatte sie östlich der Stadtmauer, in der Petticoat Lane in Spitalfields. Ganz in der Nähe der Rosemary Lane, wo Blueskins Mutter ihren Gin-Shop führte.
Poll war für Blueskin nicht unbedingt das, was man gemeinhin unter einer guten Freundin verstand, doch zumindest hasste und verabscheute sie ihn nicht. Auch darin unterschied sie sich vom Rest der Bande, wie Blueskin nur zu gut wusste. Poll hatte ihn sogar einige Male im trunkenen Zustand an sich rangelassen, ohne Geld dafür zu verlangen. Was beinahe ein Freundschaftsbeweis war, wie er fand, auch wenn er von Freundschaften zwischen Frauen und Männern nicht viel hielt. Weil er von den Weibern im Allgemeinen nichts hielt. Poll war eines der wenigen Exemplare ihres Geschlechts, das er zumindest halbwegs ernst nehmen konnte. Sie würde ihn sicherlich für ein paar Tage bei sich aufnehmen und nicht gleich an Mr. Wild verpfeifen. Das hoffte er jedenfalls.
Da er nicht durch die City gehen und zwei bewachte Stadttore passieren wollte, schlich er sich in einem weiten Bogen und durch schmale Gassen um die Stadtmauer herum und brauchte beinahe eine Stunde, bis er die östlichen Außenbezirke erreicht hatte. Die Petticoat Lane führte parallel zur Stadtmauer von Spitalfields nach Whitechapel und trug ihren Namen nicht ohne Grund. Überall in der Gegend wimmelte es von Schneidern, Webern, Tuchmachern und Färbern. Es gab sogar ein riesiges unbebautes Gelände, das nur dem Zweck diente, die frisch hergestellten oder gefärbten Stoffe zu trocknen, zu spannen oder zu walken. Wie es hieß, war die Gegend einmal richtig vornehm gewesen, doch davon war schon lange nichts mehr zu spüren.
In der Petticoat Lane hatten sich vor allem die Händler von billigen Gebrauchtkleidern und modischem Krimskrams angesiedelt. Auch Polls Zimmer befand sich im Haus eines solchen Krämers, eines gewissen Mr. Skimpole, der seiner Mieterin – für eine entsprechende Gegenleistung ihrerseits – gerne mal ein unanständig hübsches Kleid oder einen schmucken Federhut überließ. Was Mrs. Skimpole jedes Mal in helle Aufregung und berechtigte Eifersucht versetzte.
Polls Zimmer befand sich direkt unter dem Dach des dreistöckigen Hauses, doch um zum Treppenhaus zu gelangen, musste man durch Mr. Skimpoles Laden. Der Hintereingang, der von der Treppe zum Hof führte, war stets abgeschlossen und zudem tagsüber von innen mit einem Riegel versehen, sodass selbst ein geübter Einbrecher wie Blueskin die Tür nicht aufbekam, ohne dabei verräterischen Lärm zu verursachen. Es blieb also nur der Weg durch den Kleiderladen, was in seinem jetzigen Zustand etwas heikel war.
Blueskin schaute durch das kleine Schaufenster und erkannte, dass Mr. Skimpole gerade einer sehr dicken Frau einen bunten Federhut aufschwatzen wollte und damit beschäftigt war, verschiedene Modelle aus unterschiedlichen Regalen oder Kisten zu holen. Mrs. Skimpole war nirgends zu sehen, und einen Lehrling gab es dem Anschein nach nicht. Blueskin wartete, bis eine weitere Kundin den Laden betreten wollte, und hielt ihr die Tür auf, wobei er ihr wie ein Bettler die offene Hand entgegenstreckte. Eine Klingel über dem Eingang meldete die neue Kundschaft.
Die Frau, offensichtlich eine Dienstmagd aus besserem Hause, blickte den arg ramponierten Blueskin mit einer Mischung aus Mitleid und Abscheu an, drückte ihm hastig einen Farthing in die schwarze Hand und beeilte sich, den Laden zu betreten. Blueskin huschte unbemerkt hinter ihr ins Innere und versteckte sich hinter einer Kommode. Wieder klingelte es beim Schließen der Tür.
»Bin gleich da!«, rief Mr. Skimpole von irgendwoher.
»Keine Eile, Sir«, antwortete die Dienstmagd.
Langsam schlich sich Blueskin in den hinteren Teil des Ladens, wo sich die Tür zum Treppenhaus befand. Auch diese Tür war mit mehreren Eisenriegeln versehen, die aber allesamt geöffnet waren. Als der Krämer auf eine Leiter stieg, um der dicken Frau einen weiteren Hut vom Regal zu holen, und die Dienstmagd sich über eine Truhe mit billigem Nippes bückte, verschwand Blueskin im Stiegenhaus. Eine Falltür zum Keller stand offen, und von unten war eine tiefe Frauenstimme zu vernehmen: »Angus, bist du das?«
Rasch eilte Blueskin die Stufen hinauf bis unters Dach und wartete, bis Mrs. Skimpole die Falltür geschlossen hatte und wieder im Laden verschwunden war. Dann klopfte er leise an Polls Tür.
Wie er nicht anders vermutet hatte,
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