Gegen alle Zeit
Pferd gesprungen, hielt Henry seinen Stab unter die Nase und sagte: »Ihr seid festgenommen, Sir! Und Ihr auch, Ma’am!«
»Weshalb?«, fragte Bess.
»Das werdet Ihr in London erfahren.«
»Und was ist mit denen da?«, rief Henry und deutete auf Jack und Will, die sich mittlerweile genähert hatten und von ihren Pferden gestiegen waren.
»Was soll mit ihnen sein?«, fragte Mr. Hornby. »Sie waren so freundlich, uns auf Eure Spur zu bringen.«
Bess schaute zu Jack, doch der starrte zu Boden und zog mit den Füßen Linien in den Sand. »Verräter!«, murmelte sie und hätte ihm am liebsten die Augen aus dem Kopf gekratzt. Doch sie stand nur da und war wie gelähmt.
»Wisst Ihr überhaupt, wer dieser Mann ist?«, rief Henry und schüttelte den Kopf. »Wenn man nach uns fahndet, weil wir einen Gefangenen aus dem Newgate befreit haben, dann solltet Ihr auch nach ihm fahnden. Denn das ist Jack Sheppard, ebenjener Räuber, den wir aus dem Gefängnis befreit haben.«
»Von einer Newgate-Befreiung und einem Mr. Sheppard ist mir nichts bekannt, junger Mann«, sagte der Squire, der als Einziger noch im Sattel saß und das Ganze wie ein Feldherr aus der Ferne, mit dem Schwert in der Hand, betrachtete. »Wir wurden vielmehr darüber in Kenntnis gesetzt, dass zwei gemeingefährliche Irre aus der Anstalt in Moorfields geflüchtet sind und sich derzeit in Little Stanmore aufhalten. Ihr, Sir, und Ihr, Madam!«
»Lasst mich raten, wer Euch informiert hat, Squire«, sagte Bess und verschränkte die Arme vor der Brust. »Der Herzog von Chandos, nicht wahr? Oder war es Mr. Jonathan Wild?«
Der Gutsherr hob lediglich die Augenbrauen und befahl: »Abführen!«
»Wo bringt Ihr uns hin?«, rief Henry.
»Wo Ihr hergekommen seid«, antwortete Mr. Hornby und verdrehte Henry die Hand auf dem Rücken. »Nach Bethlem Hospital.«
»Bedlam!«, murmelte Bess erschrocken. Sie hatte so viele Gräuelgeschichten über das berüchtigte Irrenhaus in Moorfields gehört, dass ihr die Luft wegblieb und sie sich insgeheim wünschte, man möge sie wieder ins Newgate-Gefängnis stecken. Dort kannte sie sich wenigstens aus und war unter ihresgleichen.
»Finger weg!«, rief Henry plötzlich und stieß Mr. Hornby von sich, dass dieser rücklings zu Boden ging und wie ein Käfer auf dem Hinterteil zu liegen kam. Als der zweite Konstabler sich näherte, holte Henry ein Klappmesser aus der Jackentasche, klappte die Klinge heraus und rief: »Kommt mir keinen Schritt näher, Sir!«
Bess sah nur einen Schatten, der sich blitzschnell von hinten näherte, und noch ehe sie Henry warnen konnte, hatte Jack ihn mit einem gezielten Schlag ins Genick zu Boden befördert. Henry röchelte nur noch und wand sich wie ein Wurm. Mr. Hornby, der sich inzwischen wieder aufgerappelt hatte, trat mit voller Wucht auf den am Boden Liegenden ein. Ein heftiger Fußtritt gegen die Schläfe ließ Henry schließlich ohnmächtig werden.
»Du bist so eine feige Ratte!«, rief Bess und baute sich vor Jack auf, wobei sie ihn um einen ganzen Kopf überragte. »Erst Blueskin, jetzt wir! Wen von deinen Freunden willst du als Nächsten ans Messer liefern? Du solltest nicht zu übereifrig sein, denn wenn du alle verraten hast und Mr. Wild keine Verwendung mehr für dich hat, wird er dich wieder wie einen Hasen hetzen. Du bist ein toter Mann!«
Jack lachte nur, tätschelte ihre Wangen und sagte: »B-brave Bess! So l-liebe ich dich! Wild wie ein K-Katze.«
Bess spuckte ihm ins Gesicht.
Wieder lachte Jack, rieb sich über die Wangen und schaute sie mitleidig an.
Im nächsten Augenblick bückte sich Bess nach dem Messer, das Henry aus der Hand gefallen war. Wenn sie schon zum Teufel ging, dann sollte Jack sie begleiten. Doch noch bevor sie sich wieder erheben konnte, sauste der Stab des Konstablers auf ihren Schädel nieder, und ihr wurde schwarz vor Augen.
FÜNFTER TEIL
BLUESKIN BLAKE
Let us take the road.
Hark! I hear the sound of coaches!
The hour of attack approaches,
To your arms, brave boys, and load.
Lasst uns die Straße nehmen.
Horcht! Ich höre das Geräusch von Wagen!
Die Stunde des Angriffs naht,
an eure Waffen, mutige Jungs, und ladet.
John Gay, The Beggar’s Opera,
Akt II, Szene II, Air XX
1
Joseph Blake war tot und begraben. Und das konnte Blueskin nur recht sein. Es war zwar unwahrscheinlich, dass er sich noch lange Zeit vor aller Welt versteckt halten konnte – zu auffällig war seine Erscheinung und zu bekannt sein Gesicht –, doch dass man ihn
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