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Gegen alle Zeit

Gegen alle Zeit

Titel: Gegen alle Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Finnek
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Hosen in Brand gesetzt. Doch das machte dem Mann nichts mehr aus – er war längst tot.
    Blueskin wusste, dass die schmale Lücke zwischen den Häusern mitunter von Trunkenbolden aus dem Blue Bell als Schlafplatz benutzt wurde, falls sie es nicht mehr bis nach Hause schafften. Hier, in der hintersten Ecke des Yards und durch die schräge Mauer über ihren Köpfen vor Regen und Wind geschützt, konnten sie in aller Ruhe ihren Rausch ausschlafen. Vermutlich war der Tote ein solcher Trunkenbold gewesen, und der beißende Rauch hatte ihn erstickt, bevor er aus seinem Rausch erwacht war.
    Der Anblick des inzwischen lichterloh brennenden Mannes faszinierte und schockierte Blueskin zugleich, hinzu kam der ekelerregende Geruch nach verbranntem Fleisch und angesengtem Haar, der ihn würgen ließ. Erst ein weiteres ohrenbetäubendes Krachen direkt über ihm riss ihn aus seiner Starre. Die Decke stürzte ein. Wieder kamen die brennenden Balken geschossen, er duckte sich, doch eine Bohle erwischte ihn an der Schulter. Blueskin ging zu Boden, das schwere Brett lag nun auf ihm, und seine Jacke fing Feuer. Als hätten der Schlag und der Schmerz ihn aus einer Ohnmacht befreit, kehrten die Lebensgeister in ihn zurück. In Windeseile stieß er den Balken zur Seite, zog seine brennende Jacke aus und warf sie zu Boden. Er hielt sich den Hemdsärmel vor Mund und Nase und sprang über den toten Mann in den hinteren Teil des Tunnels. Das war zwar eine Sackgasse, weil der Zwischenraum an einer Wand endete, die zu einem Gebäude des rückwärtig gelegenen George Yard gehörte, doch zum vorderen Blue Bell Yard konnte Blueskin nicht gelangen, ohne dabei zur lebenden Fackel oder von weiteren Dachbalken erschlagen zu werden.
    So kroch er den schrägen und mit Rauch gefüllten Gang entlang, bis er die hintere Bretterwand erreicht hatte, die inzwischen ebenfalls in Flammen stand. Blueskin hatte keine Ahnung, was sich dahinter befand, doch es blieb ihm keine Wahl, als mit den Füßen gegen die brennenden Bretter zu treten. Er bekam kaum noch Luft, ihm schwanden die Kräfte, und seine Tritte gegen das Holz zeigten keinerlei Wirkung. Er ging auf die Knie und gab entkräftet auf. Beinahe im selben Augenblick wurden die Bohlen von der anderen Seite heruntergerissen, und ein Schwall Wasser landete auf Blueskins geschundenem Körper. Die Leute vom George Yard hatten das ihrige getan, dem Feuer von der anderen Seite zu Leibe zu rücken, und waren in höchstem Maße erstaunt, als ihnen nun aus dem dampfenden Loch in der Wand ein schwarzes und am ganzen Körper angesengtes Wesen entgegenkroch.
    »Da ist einer!«, riefen sie. »Hab ich doch gehört, dass da jemand klopft. Schnell, holt ihn raus!«
    Doch Blueskin war bereits in den tiefer gelegenen und ebenfalls brennenden Pferdestall, zu dem die Bretterwand offensichtlich gehörte, gesprungen und wie ein waidwundes Tier zum Tor hinausgelaufen, bevor seine Retter ihn aufhalten oder auch nur ansprechen konnten. Sie hatten alle Hände voll damit zu tun, die Pferde hinauszutreiben und ein Ausbreiten des Feuers auf die umstehenden Häuser zu verhindern.
    Blueskin wollte nur noch weg. Sich verkriechen, seine Wunden lecken und in aller Ruhe nachdenken. Kühlen Kopf bewahren, dachte er und musste grinsen, weil sich sein Schädel im Augenblick wie ein glühendes Kohlenstück anfühlte. Zu seinem Versteck in St. Giles-in-the-Fields konnte er nicht zurück, die Gegend war voller Leute, die ihn bestens kannten – auch wenn sie ihn in seinem jetzigen Zustand womöglich gar nicht erkannt hätten, nicht einmal sein bläuliches Gesicht war unter der dicken Schicht von Ruß und Schmutz auszumachen. Sein vertrautes St. Giles war für Blueskin dennoch ein zu heißes Pflaster geworden. Hier würde Mr. Wild zuallererst nach ihm Ausschau halten, und hier wimmelte es von Halunken und Spitzeln, die für einen Becher Gin ihre eigene Mutter verrieten. Blueskin eingeschlossen.
    Poll Maggott fiel ihm ein. Anders als Edgworth Bess oder die meisten anderen Huren, die er kannte, lebte und arbeitete sie nicht in einem der zahlreichen Hurenhäuser Londons, sondern ging ihrem Broterwerb auf der Straße, in Kneipen oder in den Häusern ihrer Freier nach. Das war durchaus nicht ungefährlich und hatte sie schon manches Mal in höchste Bedrängnis gebracht, doch es bedeutete zugleich, dass sie das mühsam verdiente Geld nicht mit einer Kupplerin oder einem Luden teilen musste. Poll trieb sich zwar die meiste Zeit in St. Giles oder im

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