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Gegen alle Zeit

Gegen alle Zeit

Titel: Gegen alle Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Finnek
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Toter!«
    Als Blueskin die angrenzende Remise betrat, atmete er tief durch und hatte plötzlich das seltsame Gefühl, sich schmutzig gemacht zu haben. Schmutziger, als es in der verkackten Latrine einer Irrenanstalt möglich war. Er schüttelte sich und vertrieb den Wunsch, laut aufzuschreien, indem er mit dem rechten Fuß gegen einen Stützbalken trat. Der Schmerz schoss ihm durch den Körper, sein verstauchter und blutunterlaufener Knöchel hatte mittlerweile die Größe einer schwedischen Rübe, doch das hatte auch sein Gutes, denn der Schmerz brachte ihn wieder zu sich. Jetzt war keine Zeit für Gefühle und andere Albernheiten!
    Statt durch das Tor in den Hof hinauszutreten, kletterte Blueskin durch ein Fenster auf der Rückseite der Remise, hangelte sich zum Schrägdach empor und schlich zu der Stelle, an der die Remise an das Haus stieß. Hier gab es einen kleinen Mauervorsprung, der einst zu einem inzwischen abgerissenen Erker gehört hatte. Dahinter konnte er sich verkriechen und sowohl den Hof als auch den Eingang zur Remise im Auge behalten. Dann würde er schon sehen!
    Er musste nicht lange warten. Die Dämmerung hatte längst eingesetzt, und da der Mond nur als kaum wahrnehmbare Sichel am Himmel stand, kam die Dunkelheit beinahe schlagartig. Kaum lag der Hof in völliger Schwärze, schon hörte Blueskin ein leises Rascheln und Trippeln, das ihm bekannt vorkam und sein Herz rasen ließ. Er konnte Jack nicht sehen, aber sein tänzelnder Gang war unverkennbar. Nur ein Federgewicht wie Jack konnte derart leise durch die Gegend schleichen wie ein Wiesel oder Eichhörnchen.
    Das Tor zur Remise öffnete und schloss sich, dann hörte er Schritte unter sich, schließlich Stille. Blueskin glaubte nach einiger Zeit, leise und gedämpfte Stimmen zu vernehmen, doch das mochte auch Einbildung sein. Das zugemauerte Fenster, die Teppiche an den Wänden und die winzige Luke zur Remise ließen keine Laute aus dem »Schrank« dringen, dafür hatte Mutter Blake schon gesorgt. Schließlich sollte niemand die verzweifelten Schreie hören.
    Der Gedanke an Hope hatte ihn für einen Augenblick abgelenkt, und er schalt sich dafür, als er das leise Quietschen des Stalltors hörte. Jack war wieder im Hof, und im nächsten Augenblick erklang der Ruf einer Eule. Eine zweite Eule antwortete aus der Nähe.
    Sehr einfallsreich!, dachte Blueskin und kroch auf allen vieren aus seinem Versteck und im Schatten des Firsts zum hinteren Ende des Remisendaches. Hier befand er sich direkt über Jack, der an der Mauer zum Nachbarhof lehnte und sich eine Pfeife anzündete.
    »Bist du bescheuert?«, schimpfte eine Bassstimme über den Hof. »Mach das Licht aus!« Und im nächsten Augenblick erschien der riesige Quilt Arnold, um Jack die Pfeife aus der Hand zu schlagen.
    »Reg dich ab, Quilt!«, lachte Jack mit seiner wohlklingenden Jungenstimme. Er wich dem Schlag geschickt aus und ließ Quilts mächtige Pranke ins Leere sausen. »Blueskin ist noch nicht d-da. Kommt erst um M-Mitternacht. Mit dem Brief.«
    »Wer sagt das?«
    »Mutter Blake«, antwortete Jack und sog so heftig an der Pfeife, dass sein hübsches Gesicht rötlich leuchtete. »Und sie würde mich bestimmt nicht anlügen. K-kann mich nämlich gut leiden, die hässliche V-Vettel.«
    »Hm«, knurrte Quilt Arnold. »Das sind ja noch über drei Stunden. Sollen wir die ganze Zeit hier draußen hocken und ihm auflauern?«
    »Ihr könnt auch drinnen warten und euch die Zeit mit Mutter Blakes W-Wacholderfluch vertreiben«, lachte Jack und patschte Quilt wie einem kleinen Jungen auf den Buckel. »Sag den anderen B-Bescheid, wenn du willst. Bis Mitternacht wird nichts p-passieren. Blueskin ist so pünktlich wie eine Turmuhr. Auf ihn ist V-Verlass.«
    Wieder knurrte Quilt etwas Unverständliches, dann nickte er und verschwand durch die schmale Passage neben dem Haus in Richtung Rosemary Lane. Dort warteten vermutlich die anderen im Hinterhalt auf Blueskins Erscheinen.
    Obwohl das kurze Gespräch zwischen Jack und Quilt genau dem entsprochen hatte, was Blueskin vermutet oder befürchtet hatte, war er beim Hören der Worte so entsetzt und benommen, dass ihm ganz schlecht wurde. Bis zuletzt hatte er gehofft, Bess könnte sich irren oder hätte ihn absichtlich und aus reiner Bosheit belogen, weil es eben in ihrer Natur steckte. Doch nun konnte es keine Zweifel mehr geben: Jack war ein Verräter. Er war nicht anders als all die anderen. Ein Gauner von Mr. Wilds Gnaden. Ein verdammter

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