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Gegen alle Zeit

Gegen alle Zeit

Titel: Gegen alle Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Finnek
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irgendwo im Dunkeln auf dem Boden liegen musste.
    »Nein, wirklich, du warst mir immer ein guter F-Freund«, sagte Jack und schien Blueskins Blick aufgefangen zu haben. »Aber damit hat es nun ein Ende.« Auch er schaute ins Dunkel und wandte sich um.
    »Suchst du das hier?«, fragte eine helle Frauenstimme. Ein weiß gepudertes Gesicht tauchte wie ein Geist aus der Finsternis auf, dann surrte es leise – wie ein kaum zu vernehmender Windzug –, und der Totschläger landete mit einem hässlichen Krachen auf Jacks Kopf.
    Wieder fiel die Pfeife zu Boden. Doch diesmal folgte auch Jack und blieb bäuchlings neben ihr liegen.
    »Poll«, murmelte Blueskin verwirrt. »Was machst du denn … wieso … woher weißt du …?«
    »Ich hab auf dem Tisch gelegen, schon vergessen?«, antwortete Poll und half Blueskin, der die Zähne zusammenbiss, auf die wackligen und malträtierten Beine. »Und ich kenn dich inzwischen gut genug, um zu wissen, wenn mit dir was nicht stimmt. Dein Blick hat mehr verraten als deine Worte.«
    »Gar nichts stimmt mehr«, sagte Blueskin und wehrte Polls Versuche ab, ihn abzustützen und fortzuschleppen. Er schaute zu Jack, der bewusstlos auf dem Boden lag, und setzte hinzu: »Nichts hat mehr einen Sinn. Jack hat alles … kaputtgemacht.« Beinahe hätte er »entweiht« gesagt.
    »Wir müssen verschwinden, bevor jemand kommt«, flehte Poll und unternahm einen weiteren Versuch, ihn von der Stelle zu bewegen. »Los, Blueskin, ich bring dich nach Hause.«
    Als sie das sagte, musste Blueskin lächeln, und sein Herz raste, doch dann verfinsterte sich seine Miene, und er schüttelte den Kopf. »Ich hab noch was zu erledigen«, sagte er und deutete auf eine alte Schubkarre, die an die Wand der Remise gelehnt war. »Ich bin noch nicht fertig mit ihm.«
    Er hatte es sich geschworen. Hoch und heilig!

SECHSTER TEIL
    MACK THE KNIFE
    Und Macheath, der hat ein Messer.
    Doch das Messer sieht man nicht.
    Bertolt Brecht,
Die Moritat von Mackie Messer

1

    Henry wusste nicht, wie lange er ohnmächtig gewesen war. Das Letzte, woran er sich bewusst erinnerte, waren die beiden seltsam gekleideten Konstabler, die er mit seinem Messer in Schach gehalten hatte. Und Bess’ erschrockenen Blick, als Jack ihm von hinten eins über den Schädel gezogen hatte. Gefolgt von einem grellen Feuerwerk in seinem Kopf.
    Während seiner Ohnmacht waren ihm die wildesten Traumgebilde und wirrsten Gedanken durch den Kopf gejagt. Zusammenhanglose Bilder und undeutliche Satzfetzen aus der Gegenwart. Oder Zukunft. »Du hast ihn umgebracht!« Ein stechender Schmerz im Schädel. Blut an seinen Händen. Ein verschwommenes Bild von Sarahs entsetztem Gesichtsausdruck. Ein Schatten, der sich rasend näherte und alles verfinsterte. Das überhebliche und selbstgefällige Grinsen in Sean Leighs Gesicht. »Wir klären das jetzt, ein für alle Mal!« Eine dunkle Pfütze auf dem Sandweg im Postman’s Park, eine rostige Eisenstange, das Knacken von Knochen. So laut und lärmend, als wären es die eigenen. Sarah mit dem Handy in der Hand. »Kommen Sie schnell, ich glaube, er stirbt!« Sirenen, die sich näherten und lauter wurden. Blaues Licht in den Baumwipfeln. Filmriss.
    Als er aufwachte, rüttelte und schüttelte es ihn. Er konnte die Augen nicht öffnen, in seinem Kopf hämmerte es, und sein Körper fühlte sich an, als befände er sich in einer Schraubzwinge. Sie hatten ihm die Hände auf dem Rücken gebunden und seine Füße gefesselt, er lag seitlich auf dem Boden und hörte das Rattern einer Kutsche. Als er erneut versuchte, die Augen zu öffnen, bekam er die Lider ein wenig auseinander, und doch blieb es dunkel. Sie hatten ihm die Augen verbunden. Erst als er den Versuch unternahm zu reden und dabei nur undeutliches Gestammel aus seinem Mund kam, begriff er, dass sie ihn zudem geknebelt hatten. Es blieben ihm nur seine Ohren. Doch außer dem Rattern der Kutschräder auf dem Pflaster konnte er nichts vernehmen. Er zerrte an den Fesseln und versuchte, sich zu befreien, doch sofort stellte sich ein Fuß auf seine Schulter, und eine ihm bekannte Männerstimme befahl barsch: »Lieg ruhig, Kerl, sonst knallt’s!«
    Henry erstarrte und nickte. Unwillkürlich musste er an die Albträume seiner Jugend denken. Als Halbwüchsiger hatte er die Gruselgeschichten von Edgar Allan Poe geradezu verschlungen und war von ihnen bis in den Schlaf verfolgt worden. Beinahe regelmäßig hatte er davon geträumt, lebendig begraben zu werden und in einem Sarg oder

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