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Gegen alle Zeit

Gegen alle Zeit

Titel: Gegen alle Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Finnek
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einer Gruft aufzuwachen. Beengt, ohne Luft, in völliger Finsternis. Genauso fühlte er sich nun, auch wenn er natürlich wusste, wo und in wessen Begleitung er sich befand. Und wohin man ihn bringen würde: Bedlam Hospital!
    Er hatte schon viel über das berüchtigte Irrenhaus gehört und gelesen, das über die Jahrhunderte zum Inbegriff von Chaos und Misshandlung geworden war. Was Newgate für die Gefängnisse darstellte, das war Bedlam für die Irrenhäuser. Die Blaupause eines wahr gewordenen Albtraums. Eine Ausgeburt der Hölle. So war es zumindest von Zeitgenossen geschildert und auf Bildern festgehalten worden.
    Das Rattern der Räder auf dem Pflaster wurde zu einem Knirschen, sie fuhren wohl über Kies oder Sand. Schließlich hielt die Kutsche an, und dumpfe Befehle waren zu hören. Neben Henry stöhnte jemand, und obwohl es nur ein kurzes Geräusch gewesen war, hatte er Bess sofort erkannt. Sein Herz schlug heftig, und er versuchte vergeblich, sich bemerkbar zu machen. Eine Tür wurde geöffnet, kalte Luft strömte herein, Kleider raschelten, Bess’ wütendes Murmeln, vom Knebel erstickt. Dann wurde Henry von zwei Seiten gegriffen und aus dem Wagen gezerrt. Erst über einen Kiesweg, dann die Stufen einer Treppe hinauf, es folgte das Quietschen einer schweren Eisentür. Henry wurde in ein Haus gebracht, dessen Akustik ihn an Bahnhöfe oder große Festsäle erinnerte. Die Schritte auf dem Steinboden echoten mehrmals, bevor sie sich unter der vermutlich sehr hohen Decke verloren.
    Papier knisterte. Jemand räusperte sich und fragte: »Name?«
    »Elizabeth Lyon und Henry Ingram.« Die Stimme gehörte Mr. Hornby, dem Wirt des Little Stanmore Inn. Er war es auch gewesen, der Henry im Wagen gedroht hatte. Er fragte: »Ihr wisst Bescheid, Sir?«
    »Ay, Konstabler!«, antwortete der andere. »Mr. Wild und Dr. Featherstone haben alles herrichten lassen.«
    »Na, dann«, knurrte Mr. Hornby. »Viel Spaß mit den beiden.« Zum Abschied verpasste er Henry eine klatschende Ohrfeige. Einfach so. Begleitet von einem hämischen Lachen.
    Schritte entfernten sich. Wieder das Quietschen der Eisentür. Ein mehrfaches Echo, als die Tür ins Schloss fiel.
    »Weg mit ihnen!«, befahl der Mann, mit dem Mr. Hornby gesprochen hatte.
    Erneut wurde Henry gegriffen und fortgezerrt. Abermals durch eine Tür und eine Treppe hinauf. Ein seltsamer Geruch schlug ihm entgegen. Es roch nach feuchter Erde, nach Mörtel und Kalk. Wie auf einer Baustelle.
    »Ich glaube, die Knebel brauchen wir nicht mehr, Bernie«, sagte ein Mann.
    »Hier hört sie ohnehin keiner«, sagte ein anderer.
    Henry wurden die Augenbinde und der Knebel abgenommen. Obwohl nur wenig Sonnenlicht durch eine schmale Schießscharte fiel, war Henry geblendet und verengte die Augen zu Schlitzen, bis sie sich an die Lichtverhältnisse gewöhnt hatten. Das Erste, was er erkannte, war Bess. Auch ihr waren die Hände auf dem Rücken gefesselt und die Füße in Ketten gelegt worden. Sie sah derangiert aus, ihr Haar war zerzaust, das Gesicht verschrammt, das Oberkleid in Fetzen, das Mieder zerrissen. Es war offensichtlich, dass sie sich während der Fahrt von Little Stanmore nach Moorfields an ihr vergangen hatten.
    Henry wendete den Blick ab und war beinahe froh, dass er bewusstlos gewesen war und nichts davon gehört hatte. »Wie geht es dir?«, fragte er, ohne Bess anzuschauen.
    Statt einer Antwort schnaufte Bess verächtlich.
    »Weiter!«, befahl einer der Männer und stieß Bess in den Rücken. Er trug eine Art Uniform aus dunkelblauem Stoff, mit einem Dreispitz auf dem Kopf und einem Degen an der Seite. Vermutlich war dies die Wärterkleidung in Bedlam. Oder die Uniform von Mr. Wilds eigener Wachtruppe.
    Sie gingen eine schmale Holztreppe hinauf, die seltsam unfertig schien. Die Wände des Treppenhauses waren nicht verputzt, es fehlte ein Geländer, und die Treppenbohlen starrten vor Dreck. Als sie ins erste Obergeschoss kamen, erkannte Henry einen Zellentrakt, dessen Zellen keine Türen hatten. Einige der Mauern endeten auf halber Höhe, überall lagen Werkzeug und Baumaterial herum. Bretter, Steine, Bottiche mit Kalk oder Ziegelmehl.
    »Das ist ja eine Baustelle«, entfuhr es Henry ungläubig.
    »Keine Bange«, sagte der Wärter namens Bernie und lachte. »Euer Gemach ist bereits fertig und wartet auf euch. Los, weiter!«
    Das zweite Obergeschoss ähnelte dem ersten. Auch hier waren die Zellen zur Unterbringung der Irren noch nicht fertiggestellt. An einer Mauer lehnten

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