Gegen alle Zeit
jedoch bei einer Börsenspekulation nicht nur sein ganzes Geld, sondern beinahe auch den Verstand verloren, und nun werde er vom braven Grafen von Burlington durchgefüttert und aufgepäppelt. Ein Schatten von einem Mann, dieser Mr. Gay, hatte Charteris behauptet. Ein Jammer!
Und genau deshalb war Bess nun hier in Westminster, und aus diesem Grunde würde sie sich nicht so leicht abwimmeln lassen. Zu lange hatte sie nach einer Spur gesucht, und auch wenn John Gay nur mittelbar etwas mit den Vorfällen in Cannons zu tun hatte, so war er doch ein Freund des Kapellmeisters Pepusch und ein Bekannter des jungen deutschen Oboisten, dessen Name ihr auch heute noch wie eine Gewehrsalve in den Ohren klang: Albrecht Niemeyer! Jener Mann, der sie erst zur Witwe und dann zur Hure gemacht hatte.
Ohne rechten Plan ging Bess auf der Bond Street in nördlicher Richtung, immer entlang dem hohen und mit Spitzen bewehrten Zaun, der das gesamte Gelände umgab. Sie hielt Ausschau nach Pforten oder durchgerosteten Gitterstäben, doch ihre Suche blieb erfolglos. Durch die Eisenstäbe konnte sie einen Blick auf den rückwärtigen Park und die Gartenanlagen werfen, die nur von einzelnen Remisen und Stallungen gesäumt waren. Die herrschaftlichen Gebäude, aber auch die meisten Unterkünfte der Dienerschaft befanden sich im vorderen Teil, unweit der Piccadilly, und je näher Bess der Glasshouse Street kam, desto schmuckloser und unansehnlicher wurden die Häuser und Hütten. Als sie beinahe das Ende des Parks erreicht hatte und bereits rechter Hand in die Nebenstraße einbiegen wollte, sah sie einen Pferdekarren, der aus einer Stallung auf die Bond Street einbog. Der Stall befand sich in der äußersten Ecke des Burlington Parks und war sozusagen Teil oder Abschluss der Ummauerung, allerdings besaß das backsteinerne Gebäude ein zweiflügliges Tor zur Straße hin, das so hoch und breit war, dass es den Fuhrwerken die Durchfahrt ermöglichte. Der Karren, der gerade den Stall verlassen hatte, war mit dampfendem Dung oder Mist beladen, und der Mann auf dem Kutschbock pfiff zweimal auf den Fingern, als wollte er jemandem ein Zeichen geben. Als nichts geschah, pfiff er erneut, doch niemand antwortete. Mürrisch stieg er vom Kutschbock und ging zum Tor, das er schloss, aber nicht verriegeln konnte, weil sich der Riegel auf der Innenseite befand.
Eine Weile wartete er unentschlossen, dann pfiff er erneut, und als wiederum nichts geschah, winkte er ab und knurrte: »Hol’s der Teufel!« Damit stapfte er zu seinem Karren zurück, stieg auf den Bock und gab dem Pferd die Peitsche.
Bess hatte sich inzwischen dem Tor genähert und wartete, bis der Pferdekarren weit genug entfernt war. Dann öffnete sie den rechten Flügel des Tors einen Spaltbreit und zwängte sich hindurch. Im Inneren des Stalls empfingen sie ein diffuses Licht und ein erbärmlicher Gestank. Sie befand sich unverkennbar in einem Schweinestall, auch wenn im Augenblick keine Tiere in den hölzernen Gevierten waren. Doch bevor sie sich genauer orientieren konnte, wurde am anderen Ende des Stalls eine kleine Tür geöffnet, und ein Knecht betrat das Gebäude. Bess duckte sich und versteckte sich hinter einem Handkarren, der neben der Einfahrt abgestellt war.
»Was soll ’n das?«, knurrte der Knecht und stapfte zum Tor. Kopfschüttelnd legte er den Riegel vor und knurrte: »Hätte ja mal ’n Ton sagen können, der blöde Kerl!« Dann drehte er sich um und verließ den Stall, wie er gekommen war.
Bess atmete tief durch, achtete dabei allerdings darauf, durch den Mund zu atmen, und wartete eine geraume Weile, bevor sie sich zu der Holztür begab, die zu den angrenzenden Gärten führte. Es war inzwischen Mittag, und die Sonne stand hoch am Himmel. Als sie durch die Tür trat, blendete sie das Licht, und sie kroch schleunigst hinter eine Buchsbaumhecke, in den Schatten und in Deckung. Doch ihre Vorsicht war unnötig – weit und breit war keine Menschenseele zu sehen. Auf der anderen Seite des Stalls sah sie eine Weide, auf der die Schweine in der Sonne dösten oder sich in den ausgetrockneten Pfützen suhlten, und direkt vor ihr begann der Nutzgarten, der durch niedrige Hecken in Parzellen aufgeteilt war.
Am südlichen Ende des Gartens befand sich eine mannshohe und mit Efeu bewachsene Mauer mit einem reich verzierten, schmiedeeisernen Tor, durch das sie einen Blick auf den Burlington Park werfen konnte. Schon das wenige, das sie von der Bond Street aus durch die Gitterstäbe
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