Gegen alle Zeit
besuchen. Doch der Pförtner hatte lediglich mit dem Kopf geschüttelt und behauptet, einen John Gay gäbe es in Burlington House nicht. Auf Bess’ Einwand, sie habe ihren Onkel doch unlängst an selbiger Stelle besucht, reagierte der Mann mit abermaligem Kopfschütteln und der Bemerkung, das wage er stark zu bezweifeln, da ja, wie er bereits gesagt habe, kein Mann dieses Namens in Burlington House zu finden sei.
Damit blieb die Toreinfahrt für Bess versperrt, und so versuchte sie es an dem seitlichen Lieferanteneingang, der sich zwischen dem westlichen Säulengang und dem rückwärtig gelegenen Nebengebäude befand. Doch auch hier stand ein Wärter und verlangte entweder einen Passierschein oder einen Auftrag für die Lieferung. Da sie weder ein Papier noch irgendetwas Lieferbares bei sich trug, wurde sie abgewiesen und fortgeschickt.
Zuletzt ging sie zu einer kleinen, aber ebenfalls bewachten Eisenpforte, die zu einem der Gesindehäuser führte, und versuchte es mit der Ausrede, sie sei die Tochter einer Hausmagd und müsse dieser etwas ausrichten, doch darauf fragte der Wärter lediglich nach dem Namen der Betreffenden und erklärte, diese müsse ihre Tochter am Eingang abholen. Ohne Bürgen oder Passierschein werde niemand auf den Hof gelassen.
Bess war so erstaunt, dass sie sich kommentarlos abwandte und schleunigst davonlief. So etwas Seltsames hatte sie noch nicht erlebt. Dass das eigentliche Herrenhaus vor Bettlern, Hausierern und anderen unwillkommenen Besuchern beschützt wurde, konnte sie ja verstehen, aber dass gleich das ganze Gelände samt Hof und Gesindehäusern wie unter Quarantäne gehalten wurde, das wollte ihr nicht einleuchten. Von Colonel Charteris, der ihr am gestrigen Abend den entscheidenden Hinweis auf den Dichter John Gay gegeben hatte, wusste sie, dass der Graf von Burlington ein Förderer der Künste und selbst ein angesehener Architekt war. Charteris hatte berichtet, ein berühmter deutscher Komponist habe eine Zeit lang unter seinem Dach gewohnt, und zu den Gästen des Grafen hätten immer wieder auch Künstler zweifelhaften Rufs gezählt, die aus politischen oder finanziellen Gründen in ihrer Heimat oder bei ihren Gläubigern nicht gut gelitten gewesen seien. Vermutlich war dies der Grund für die übertriebenen Vorsichtsmaßnahmen.
Bess konnte sich nicht mehr genau erinnern, wie sie auf das Thema gekommen waren. Vermutlich hatte der Colonel mal wieder damit angegeben, welche hochrangigen Persönlichkeiten und gefeierten Künstler zu seinen Bekannten zählten. Bess kannte dieses wichtigtuerische Protzen und gab wenig darauf. Aber als Charteris eher beiläufig von einem deutschen Komponisten erzählt hatte, der früher einmal in Cannons House in Middlesex und ebenso im Burlington House an der Piccadilly gewohnt habe, war Bess vor Schreck und Aufregung beinahe das Herz stehen geblieben. Bei den Begriffen »deutscher Komponist« und »Cannons House« war sie wie unter Peitschenhieben zusammengefahren und hatte sich regelrecht in den Arm des Colonels verkrallt.
»Sachte, Mädchen!«, hatte der Colonel gelacht. »Den brauche ich noch! Und sei es nur, um dir den Arsch zu versohlen.«
Bess hatte neben ihm auf dem Bett gelegen, den Hintern voller roter Striemen von den albernen Spielchen des Colonels, und hatte sich mit zittriger Stimme nach dem Namen des Komponisten erkundigt: »Hieß der Mann zufällig Pepusch?«
»Pepusch?« Der Colonel hatte den Kopf geschüttelt. »Nein, der Name kommt mir zwar bekannt vor, aber der Komponist, den ich meine, hieß Händel. Ein Mann mit Verbindungen bis hinauf ins Königshaus. Kein Wunder, bei der deutschen Inzucht am Hof. Als braver Brite ist man ja ein Fremder in der Heimat, und der König von Großbritannien ist der Sprache seines eigenen Volkes nicht mächtig. Es ist eine Schande!«
Zunächst war Bess enttäuscht gewesen, doch dann war der Colonel, in einer Mischung aus Erregung und Entspannung, ins Plaudern und Schwadronieren geraten. Zunächst hatte er, obwohl selbst kein Engländer, sondern Schotte, noch ein wenig über König George und die vermeintliche Plage aus Hannover gelästert, aber schließlich hatte er von seinem letzten Besuch in Burlington House erzählt und ganz nebenbei einen gewissen John Gay erwähnt, den er dort getroffen habe. Das sei ein talentierter Dichter und zudem ein guter Freund der ehrenwerten Herren Jonathan Swift und Alexander Pope, wie der Colonel prahlerisch hinzugefügt hatte. Vor einiger Zeit habe Mr. Gay
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