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Gegen alle Zeit

Gegen alle Zeit

Titel: Gegen alle Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Finnek
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Bess«, unterbrach er sie und hob abwehrend die Hand. »Das heißt, in gewisser Weise schon, aber nicht so, wie es sich jetzt vielleicht anhören mag. Ich kenne den Weg nach Lambeth, aber er nützt mir nichts. Denn er führt nur in die Irre.«
    Bess schüttelte verwirrt den Kopf. »Du bist ein komischer Vogel, Macheath.«
    »Das sagtest du bereits«, antwortete er. »Aber mein Name ist Henry Ingram.«
    »Das sagtest du bereits«, erwiderte sie und zuckte mit den Schultern. Dann löffelten sie beide schweigend ihre Suppen.
    Henry Ingram war Bess ein Rätsel. Und er war ihr zugleich suspekt und unheimlich. Dass er einer von Jonathan Wilds Spitzeln sein musste, lag auf der Hand, aber andererseits benahm er sich nicht wie ein Informant. Statt sich unauffällig zu verhalten und bedeckt zu halten, führte er sich wie ein Trampel oder Depp auf, der allerlei Lärm verursachte und für Aufsehen sorgte. Was ihm erst im Newgate und anschließend im Black Lion beinahe zum Verhängnis geworden wäre. Hinzu kam der seltsame Widerspruch zwischen seinem Aussehen und seinem Gehabe. Er trug fadenscheinige Fetzen am Leib und keine Schuhe an den Füßen, aber er sprach wie ein Gentleman oder Gelehrter und benutzte immer wieder Wörter, die Bess noch nie zuvor gehört hatte. Wenn er tatsächlich ein Schauspieler war, dann kein besonders guter, das stand jedenfalls fest.
    Vor allem aber begriff Bess nicht, warum Jonathan Wild einen weiteren Spitzel auf Jack ansetzte. Mit Blueskin hatte er doch bereits einen Agenten in unmittelbarer Nähe seines Ziels gepflanzt. Was konnte also Ingram noch bewirken oder herausfinden? Oder war der Kerl gar nicht auf Jack angesetzt, sondern auf Blueskin? Oder gar auf sie selbst?
    Solange sie nicht wusste, was Ingram umtrieb und warum Mr. Wild ihn geschickt hatte, hielt sie es für ratsam, den seltsamen Kauz in ihrer Nähe zu haben und möglichst nicht aus den Augen zu lassen. Nur deshalb hatte sie ihn mitgeschleift und bei Mutter Needham untergebracht. Sie wollte wissen, was das alles zu bedeuten und wen sie vor sich hatte. Ingrams Frage nach John Gay bewies ihr nur, dass sie recht daran getan hatte, ihn unter ihre Fittiche zu nehmen. Der Kerl wusste Sachen, die nicht einmal Jonathan Wild wissen konnte. Oder er war ein tollpatschiger Dummschwätzer, der aufs Geratewohl ins Schwarze traf.
    Wie um Bess’ Vermutung zu bestätigen, fragte er plötzlich: »Warum hast du eigentlich Jack verraten?«
    Bess verschluckte sich und hustete: »Hab ich das?«
    »So wird’s gemunkelt.«
    »Du solltest nicht alles glauben, was Blueskin dir erzählt.«
    »Godfrey und George behaupten es ebenfalls.«
    »Weil Blueskin es ihnen eingetrichtert hat.«
    »Also hast du Jack nicht verraten?«
    Bess zögerte einen Augenblick und wusste nicht, ob und wie sie antworten sollte. Sie kannte diesen Kerl doch gar nicht, und er stellte peinliche Fragen, als wären sie alte Freunde oder als wäre er ihr Richter. Andererseits, was konnte es schaden? Vielleicht nützte es ja sogar etwas, einen Verbündeten zu haben. Also zuckte sie mit den Schultern und sagte: »Um ehrlich zu sein, ich weiß es nicht. Ich war an dem Abend so betrunken, dass ich mich an nichts erinnern kann.«
    »Hat Wild dich betrunken gemacht?«, fragte Ingram. »Um aus dir herauszubekommen, wo Jack sich versteckt hielt?«
    Wieder hob sie die Schultern und sagte: »Frag doch Blueskin, der kann dir sicher ’ne Antwort geben.«
    »Ich frage lieber dich.«
    »Ja, verdammt!«, platzte es aus ihr heraus. »Mr. Wild hat mich in irgendeinem Inn an der Temple Bar abgegriffen und so mit Gin abgefüllt, dass ich bis heute nicht weiß, wie ich anschließend nach Hause gekommen bin. Ich hab nicht die geringste Ahnung, was in dieser Nacht passiert ist.«
    »Filmriss«, bekräftigte Ingram.
    »Was soll ’n das nun wieder heißen?«
    »Vergiss es!« Er winkte ab und sagte: »Erzähl weiter.«
    »Es gibt nichts weiter zu erzählen. Am nächsten Morgen war Jack verhaftet, einen Tag später saß er bereits im Newgate, und alle Welt behauptete, ich hätte ihn verraten.« Sie lachte gallig, schob die restliche Biersuppe von sich und setzte hinzu: »Dabei wusste ich doch gar nicht, dass Jack in Mutter Blakes Gin-Shop war. Jedenfalls nicht mit Sicherheit.«
    »Aber Jack hält dich nun auch für eine Verräterin«, sagte Ingram nickend.
    »Dafür hat Blueskin schon gesorgt.«
    »Du kannst ihn nicht leiden, was?«
    »Darum geht’s doch gar nicht!«, entfuhr es Bess, und sie schlug mit der

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