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Gegen alle Zeit

Gegen alle Zeit

Titel: Gegen alle Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Finnek
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Torflügel, ein penetranter Gestank nach Schweinedung schlug ihnen entgegen, und ein alter und vom Rheuma gebeugter Knecht erschien und beäugte mürrisch die beiden Gestalten auf der Straße. »Was soll der Lärm?«
    »Wir möchten zum Gärtner«, sagte Henry.
    »Hier kommt keiner rein«, antwortete der Knecht und wollte das Tor wieder schließen. »Versucht es vorne an der Straße. Ihr braucht einen Passierschein.«
    »Dann sagt bitte Mr. Gay, dass Mrs. Elizabeth Lyon auf ihn wartet«, bat Henry und stellte sich in die Tür. Er deutete auf die schwarz gekleidete Person mit dem Schleier und fügte hinzu: »Wir warten hier.«
    »Mr. Gay ist nicht der Gärtner«, knurrte der Knecht.
    »Wir warten trotzdem«, sagte Henry und rührte sich nicht vom Fleck.
    »Und wie ist Euer Name?«, wollte der Alte wissen.
    »Captain Macheath«, entschlüpfte es Henry.
    »Verdamm mich!«, rief der Knecht, sah sein Gegenüber überrascht an, nickte dann ergeben, als hätte er einen Gentleman vor sich, und eilte schleunigst davon, ohne die Tür hinter sich zu schließen.
    »Was war denn das?«, wunderte sich Mr. Pepusch.
    »Ihr solltet Euch meinen Namen merken, Maestro«, antwortete Henry lächelnd. »Ihr werdet noch Verwendung für ihn haben. Er wird Euch gewiss von Nutzen sein.«
    Sie durchquerten den Schweinestall, gingen über eine Viehweide und betraten einen Nutzgarten, der ringsum von Hecken und Mauern umgeben war. Ein schmiedeeisernes Tor führte auf der gegenüberliegenden Seite zum Burlington Park, der Henry wie eine aufgemalte Theaterkulisse vorkam. Mit falschen Ruinen, nutzlos in der Gegend herumstehenden Säulen und absichtlich aus Bruchstein errichteten Gebäuden, die wie eine Verhöhnung der ärmlichen Bauernkaten wirkten, auf die sie sich bezogen. Das gesamte auf alt und verfallen getrimmte Gelände erinnerte Henry an die Themenparks in Disneyland.
    Im Hintergrund war das Herrenhaus an der Piccadilly zu sehen, in dem sich heutzutage die königliche Kunstakademie befand und das Henry viel bescheidener und niedriger erschien, als er es in Erinnerung hatte. Vermutlich waren dem ursprünglichen Gebäude im Laufe der Jahrhunderte einige zusätzliche Stockwerke aufgesetzt worden. Auf halbem Weg zum Haus gingen zwei Gestalten in Richtung Nutzgarten. Eine von ihnen war der alte Knecht, der unschwer an seiner schiefen und gebeugten Haltung zu erkennen war.
    Mr. Pepusch, der die ganze Zeit still gewesen und Henry wie ein treuer Hund gefolgt war, zeigte auf die Männer und sagte: »Das ist ja …«
    »Mr. John Gay«, vollendete Henry den Satz. »Der Euch hoffentlich helfen und verstecken wird.«
    Der Knecht und der Dichter, beide hinsichtlich der schlichten und vor Schmutz starrenden Kleidung kaum zu unterscheiden, hatten inzwischen das eiserne Tor erreicht. Mr. Gay schaute zunächst Henry und dann die schwarz vermummte Person an, schüttelte plötzlich den Kopf und rief ärgerlich: »Das ist nicht Mrs. Lyon! Was soll der Unfug?«
    Mr. Pepusch nahm den Hut samt Schleier vom Kopf, und Mr. Gay und der Knecht gaben erstaunte und erschrockene Laute von sich. Der Knecht vermutlich wegen der verbundenen und blutverkrusteten Nase, der Dichter, weil er den deutschen Musiker erkannte.
    »Was ist Euch denn widerfahren, Mr. Pepusch? Was soll die Maskerade? Wieso gebt Ihr Euch als Mrs. Lyon aus? Was hat das alles zu bedeuten? Ich bitte um Erklärung, Maestro!«
    »Ich bin in höchster Not, lieber Mr. Gay, und bitte freundlichst um Eure Hilfe«, antwortete Mr. Pepusch in steifem Englisch und verneigte sich, so gut und tief es in den engen Frauenkleidern ging. »Mein Leben ist in Gefahr, und ich weiß mir keinen Rat.«
    »Und deshalb schafft Ihr mir diesen steckbrieflich gesuchten Halunken her?«, erboste sich Mr. Gay und deutete auf Henry. »Damit auch ich in Gefahr gerate?« Der Knecht hatte ihm also berichtet, was es mit dem Mann namens Macheath auf sich hatte.
    »Ich werde Euch nicht weiter belästigen, Gentlemen«, sagte Henry und verbeugte sich ebenfalls. »Mein Auftrag ist erfüllt. Des Bettlers Oper kann beginnen.« Und lächelnd zitierte er aus dem Prolog des Stücks: »Aber jetzt ist es Zeit, dass wir uns zurückziehen. Die Schauspieler bereiten sich vor anzufangen. Spielt die Ouvertüre!«
    Mr. Gay und Mr. Pepusch starrten ihn an, als hielten sie ihn für geistesgestört. Der Kapellmeister wollte etwas erwidern, doch Henry unterbrach ihn und sagte: »Wenn Ihr mir oder Mrs. Lyon eine Nachricht zukommen lassen wollt,

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