Gegen alle Zeit
Stelle, schüttelte nur immer wieder den Kopf und murmelte ein deutsches Wort, das Henry dennoch verstand, weil es im Englischen beinahe identisch klang: »Bastard!«
Henry trat hinter dem Mauervorsprung hervor, hinter dem er sich versteckt gehalten hatte, ging auf Mr. Pepusch zu und tippte ihm von hinten an die Schulter.
Der Musiker zuckte erschrocken zusammen und fuhr herum.
»Setzt bitte Euren Hut auf, Mr. Pepusch!«, sagte Henry.
Sein Gegenüber schaute ihn nur fassungslos und entsetzt an.
»Kommt!«, befahl Henry, pflanzte Mr. Pepusch kurzerhand den Hut auf den Kopf, richtete den Schleier und führte ihn am Ärmel davon. »Wir müssen reden.«
»Wer seid Ihr?«, wisperte Mr. Pepusch ängstlich, machte aber keine Anstalten, sich zu wehren. »Wer schickt Euch?«
Henry zog den Kapellmeister in östliche Richtung, wo sie nach kurzer Zeit auf die Bond Street stießen. Linker Hand führte die Straße zurück zur Tyburn Road, und rechts ging es zur Piccadilly. Für einen Augenblick kam ihm der Gedanke, seinen Urahn Jeremiah Ingram und dessen Kaffeehaus zu besuchen. Doch dafür war nun wahrlich keine Zeit.
»Mein Name ist Macheath«, sagte Henry und schob Mr. Pepusch nach rechts, wo die Straße von Stallungen und Remisen gesäumt war. »Ich komme im Auftrag von Edgworth Bess.«
»Ich kenne keine Edgworth Bess«, erwiderte der Musiker.
»Mrs. Elizabeth Lyon«, sagte Henry und schaute sich suchend um. »Ihr wisst, was dem Oboisten widerfahren ist?«
Mr. Pepusch nickte und sagte: »Ich habe es heute Morgen erfahren.«
Gern hätte Henry gefragt, was das alles zu bedeuten hatte und wieso Mr. Wild ihnen nach dem Leben trachtete, doch dann hätte er seine Rolle aufgeben müssen, und er war schließlich Schauspieler genug, um zu wissen, dass man niemals aus der Rolle heraustreten durfte. Deshalb sagte er in bestimmtem Ton: »Mrs. Lyon hat mir aufgetragen, Euch in Sicherheit zu bringen.«
»Danke, aber das wird nicht nötig sein, Mr. Macheath. Ich kann allein auf mich aufpassen und brauche Eure Hilfe nicht.«
»Na, das sah vorhin aber nicht so aus«, lachte Henry und bugsierte den anderen auf die gegenüberliegende Straßenseite, wo ein hoher Gitterzaun ein herrschaftliches Anwesen umschloss. »Euer Freund, Mr. Händel, war nicht wirklich eine große Hilfe. Er hat Euch wie einen Hausierer vor die Tür gesetzt, nicht wahr?«
»Er ist nicht mein Freund«, knurrte Mr. Pepusch.
»Ich weiß«, antwortete Henry und betrachtete einen Viehstall oder Schuppen, der den Abschluss des Zauns und quasi die äußerste Ecke des Anwesens bildete. »Und ich kann Euch verraten, dass Ihr und Mr. Händel bald die innigsten Feinde sein werdet. Das hoffe ich zumindest. Deshalb führe ich Euch nämlich hierher.«
Mr. Pepusch schüttelte den Kopf und ließ keinen Ton hinter seinem Schleier vernehmen. Es war anzunehmen, dass er kein Wort verstand.
»Kennt Ihr den Grafen von Burlington?«, fragte Henry.
Mr. Pepusch nickte und sagte: »Bin ihm einige Male in Cannons begegnet. Wieso fragt Ihr?«
»Ich möchte Euch seinem Gärtner vorstellen.« Mit diesen Worten und ohne auf eine Antwort des Musikers zu warten, hämmerte er mit beiden Fäusten gegen die zweiflüglige Stalltür, dass es laut und scheppernd über die Straße schallte.
Der Gedanke, den Musiker Pepusch und den Schriftsteller Gay zusammenzubringen, war Henry schon mehrfach gekommen, seitdem er sich wider Willen im 18. Jahrhundert herumtrieb. Mr. Pepusch war ein Komponist, der seine beste Zeit in Cannons House hinter sich hatte und sich seitdem beruflich auf dem absteigenden Ast befand. Bei Mr. Gay war dieser absteigende Ast längst abgesägt. Gay war laut Bess ein abgehalfterter Trinker, der sein gesamtes Vermögen bei einer windigen Börsenspekulation verloren hatte, sich von reichen Gönnern aushalten ließ und nur noch zweitklassige Trinkverse zustande brachte. Die beiden Männer würden durch die Bettleroper wieder zu reichen und vor allem gefeierten Künstlern werden, und vielleicht war genau das die Aufgabe, die Henry zu erfüllen hatte: Dafür zu sorgen, dass der Komponist und der Dichter zusammenfanden und sich ans Werk machten. Denn die Bettleroper hatte Henry hierhergebracht. Also würde sie ihn bestimmt auch in die Gegenwart zurückschaffen, irgendwie.
»He, he, sachte!«, rief jemand im Stall, nachdem Henry zum wiederholten Mal an die Tür getrommelt hatte. »Immer langsam mit den jungen Pferden!« Im nächsten Augenblick öffnete sich einer der
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