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Gegen jede Regel

Gegen jede Regel

Titel: Gegen jede Regel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Stammsen
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suchte
nach Merkmalen, auf die das zurückzuführen war und die den Tod überdauert
hatten. Aber weder sein Gesicht noch seine Haare oder sein Körperbau gaben das
Geheimnis seiner Anziehungskraft preis. So genau ich ihn auch mit meinen Augen
abtastete, das Ergebnis blieb dasselbe wie bei der zweiten Durchsuchung seines
Zimmers. Er sah aus wie ein ganz normaler Junge, ohne es zu sein.

    Â»So, da haben wir ihn ja. Die Stichwunde ist im Rücken«,
sagte Karl und schon hatte er die Leiche auf die Seite gedreht.

    Die Wunde war gut zu erkennen, nun da sie nicht von
schwarzer Kleidung verdeckt wurde. Sie sah klein und unspektakulär aus. Nina
fragte: »Das war die Todesursache?«

    Â»Wie gesagt, ein Stich durch den Rücken direkt ins Herz.
Er war praktisch sofort tot.«

    Karl ließ die Leiche wieder zurück auf den Rücken
gleiten. Er hob Tobias’ Hände nacheinander hoch und zeigte uns die Fingernägel.
»Keine Kampfspuren, Abwehrverletzungen oder Ähnliches.«

    Dass Tobias seinem Mörder vertraut haben musste, wussten
wir schon. Es war eben nicht bei jedem ratsam, ihm den Rücken zuzudrehen.

    Nina fragte: »Was ist mit dem Hals?«

    Ihr machte der Geruch in der Gerichtsmedizin wesentlich
weniger zu schaffen als mir. Es ist eine bekannte Tatsache, dass die Nasen von
Frauen evolutionsbedingt anders aufgebaut sind als die von Männern. Dass ich
den Verwesungsgeruch so überaus gut wahrnahm, befähigte mich sicher, in der
Steppe Aas aufzuspüren und so meine Familie zu ernähren. Da Karl aber meines
Wissens auch ein Mann war, konnte das nicht die ganze Erklärung sein.

    Karl schaute ebenfalls auf den Hals. Er fuhr mit den Fingern
einen Bereich ab, wo die Haut fast unmerklich gequetscht und abgeschürft war. »Ich
nehme an, er wurde von hinten gepackt und dann erstochen.«

    Das machte die Tat zu einem klassischen Angriff aus dem
Hinterhalt.

    Â»Tja«, sagte Karl schließlich. »Das war’s eigentlich
schon.«

    Das hörte ich gerne. Ich deutete stumm auf die Ausgangstür
und ging schon einmal mit zügigen Schritten voraus. Karl und Nina sprachen noch
miteinander. Ich wartete auf dem Flur, weil ich hier weniger Probleme mit dem
Atmen hatte.

    Als die beiden nachkamen, sagte ich: »Ein Angriff aus dem
Hinterhalt. Eigentlich der sprichwörtliche Dolchstoß, oder?«

    Karls Stirn legte sich in Falten. »Hmm. Nicht ganz. Der
Dolchstoß aus der Legende von 1918 war mehr so etwas.« Karl machte eine
ausholende Bewegung mit beiden Armen. »Wenn man es mit Tennis vergleicht, eher
eine Rückhand.«

    Ausnahmsweise passten Karls Tennisvergleiche, ich verstand,
was er meinte. »Ja, und bei Tobias war es eher was? Eine Vorhand?«

    Karl nickte. »Wenn du so willst. Es war auch von hinten, aber
nicht der klassische Dolchstoß. Mehr wie ein Angriff von einem Kommandotrupp,
der die Wachposten ausschaltet.«

    Ich rief mir die Liste unserer Verdächtigen in Erinnerung.
Unter ihnen fand ich keinen, der in eine Uniform, geschweige denn in ein
Kommandounternehmen gepasst hätte. Und das war ein Problem. Ich sagte: »Bis
jetzt haben wir nur Verdächtige, die aus Eifersucht oder Leidenschaft getötet
hätten.«

    Karl fuhr sich mit der Hand über sein Kinn. »Also das
sieht nicht so aus wie ein typischer Mord aus Leidenschaft. Es war nur ein
einziger Stich. Gezielt und präzise ausgeführt.«

    Â»Vielleicht symbolisch der Stich ins Herz«, sagte Nina,
aber ihre Stimme klang zweifelnd.

    Karl legte den Kopf schief. »Vielleicht. Aber wir sollten
auch nicht vergessen, dass es nicht nur typische Morde gibt. Es kann sein, dass
nur zwei von hundert Morden aus Leidenschaft mit weniger als zehn Stichen auf
das Opfer begangen werden. Doch diese zwei Morde gibt es ja auch irgendwo.«

    Karl hatte sicher recht. Aber die Gesetze der Wahrscheinlichkeit
machten es eben äußerst unwahrscheinlich, dass einer dieser ganz untypischen
Morde ausgerechnet in Krefeld begangen worden und dass das Genie Tobias Maier
ihm zum Opfer gefallen war.

    Â»Außerdem haben wir keine andere Spur«, sagte ich.

    Â»Vielleicht kommt das noch«, meinte Karl.

    Â»Ansonsten werden wir Dr. Klein hinzuziehen«, sagte ich.

    Nina schaute mich von der Seite an, aber ich meinte es
ernst. Der Psychologe war nicht nur engagiert, um uns beizustehen, nachdem wir
unsere Waffen hatten benutzen müssen. Er war auch sehr

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