Gegen Vaters Willen
rücksichtsloser und ziemlich arroganter Scheißkerl.”
Ryan hörte sich das alles an, zitterte vor Wut und musste sich wirklich beherrschen, Leon nicht zu schlagen. Langsam, Stück für Stück sickerten die Worte des anderen in sein Hirn.
„Was ist los? Überlegst du jetzt, ob du dich mit mir prügeln willst? Sei mir nicht böse, aber ich prügle mich nicht! Das ist was für totale Idioten!”
„Du nennst mich einen Idioten?”, fragte Ryan bebend vor Zorn. Dass Leon so ruhig vor ihm stand, regte ihn unbeschreiblich auf.
„Ja. Nun, nicht in jeder Hinsicht. Ich weiß, dass du auch anders sein kannst, aber was das betrifft … ja, du bist ein Idiot!”
„Du kennst mich nicht, Leon. Du hast kein Recht, dir ein Urteil über mich zu bilden!”
„Ich kenn dich besser, als du denkst. Mann, Ryan, denk mal an die letzten Wochen zurück! Bin ich in deinen Augen echt nur ein Typ, der sich in dein Leben einmischt?” Leon sah seinem Freund fest in die Augen.
Ryan trat zwei Schritte zurück und ließ sich zu Boden sinken. „Ich bin nicht wie mein Vater!”, sagte er leise.
„Dann benimm dich nicht so!”
„Warum bist du hier? Ich war nicht gerade nett zu dir in den letzten Tagen. Warum rennst du mir hinterher?”, fragte Ryan mit müder Stimme.
„Du glaubst, du hättest es nicht verdient, oder?” Leon sah ungläubig zu Ryan hinunter, kannte die Antwort auf seine Frage schon, bevor der mit den Schultern zuckte. „Mann, werde endlich erwachsen. Muss ich dir wirklich sagen, dass du mir als Freund wichtig bist? Willst du echt hören, dass die letzten Tage richtig beschissen waren?”
Ryan hob den Kopf, während Leon sich vor ihn hockte und ihm abermals fest in die Augen schaute.
„Was soll ich sonst noch sagen? Ich vermisse dich”, sagte er leise.
Ryan schluckte, legte den Kopf in den Nacken und schloss die Augen.
Leon stand auf und ging einige Schritte zurück. „Du solltest dir mal Gedanken darüber machen, was dir im Leben etwas bedeutet, Ryan. Dann musst du nicht deine Minderwertigkeitskomplexe herauskramen. Das hast du nicht nötig!” Mehr wusste Leon nicht zu sagen, und da Ryan sich nicht rührte, trat er den Rückweg an und setzte sich in sein Auto. Traurig fuhr er nach Hause, wo er sich in seinem Zimmer einschloss, Kopfhörer aufsetzte und mit niemandem mehr sprechen musste. Seine Eltern kannten ihn. Sie wussten, dass er einfach allein sein wollte.
Ryan saß noch eine Weile auf dem Boden und stand schließlich auf. Mit seiner Arbeit war er fertig und im stetigen Dauerregen lief er neben June langsam über die Wiesen zurück. Bei den Pferdeställen angekommen, nahm er ihr das Halfter ab, hängte es an seinen Platz und kletterte die Leiter hoch, die an seinem Fenster lehnte. Es gab Momente, in denen er einfach niemanden sehen wollte und so nahm er den kurzen Weg, der nicht durchs Haus führte. Er zog seine nassen Sachen aus und setzte sich in der Dusche unter den Wasserstrahl, der heiß und dampfend auf ihn niederprasselte. Es dauerte nur wenige Minuten und Tränen schossen ihm in die Augen. Er hatte lange nicht mehr geweint, doch nun brach sein Frust aus ihm heraus. In diesem Moment tat es ihm leid, was er zu Leon gesagt hatte, und tief in seinem Inneren wusste er, dass sein Freund recht hatte. Er war tatsächlich wie sein Vater. Alles, was er an ihm verabscheute, erkannte er in sich selbst wieder.
Leon hatte ihn gefragt, ob er es verdient hatte, dass der ihm hinterher lief. Hatte er es verdient? Nach allem, was passiert war? So, wie er Leon behandelt hatte? Plötzlich stutzte er. Er hatte sich sonst nie Gedanken darüber gemacht, ob ein anderer Mensch verletzt sein könnte. Diese Gedanken beschlichen ihn nur bei Michelle und seiner Mutter. Warum machte er sich also Gedanken, ob er Leon wehgetan hatte? Während er darüber nachdachte, trocknete er sich ab und trat in sein Zimmer zurück, wo er in seinen Snoopy-Pyjama schlüpfte und sich im Schneidersitz auf sein Bett setzte. Reglos starrte er vor sich hin und ließ sich schließlich in die Kissen zurückfallen. Neben ihm saß Snoopy, den er in die Hand nahm und auf seinen Bauch setzte. Gedankenversunken strichen seine Finger über den weichen Plüsch, dann schloss er die Augen. Was er sah, bescherte ihm eine dicke Gänsehaut. Es war Leons tiefer Blick, als sie sich am Bach in die Augen geschaut hatten, dieser Moment, als die Zeit stehen geblieben war. Was hätte er in diesem Augenblick alles getan, wäre er nicht so feige gewesen? Was war ihm
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