Gegen Vaters Willen
bitte auch nicht. Ich hatte Ärger mit meinem Vater und bin abgehauen. Warum warst du so spät noch unterwegs?” Er hatte nicht erwartet, zu dieser Zeit - es war bestimmt schon kurz vor elf abends gewesen - noch jemandem zu begegnen.
„Ich war mit dem Auto meiner Mutter bei der Tankstelle”, erklärte Leon, dann musterte er Ryan lange. „Warum tust du das?”
Ryan zuckte ein wenig unschlüssig die Schultern. „Ich weiß nicht. Es beruhigt mich einfach. Lass uns nach dem Film zum Bahnübergang fahren, und ich zeige dir, was ich meine!”
„Na toll. Soll ich mich auch noch vor den Zug schmeißen?” Leon klang vorwurfsvoll, und das wusste er auch.
Ryan legte den Kopf zurück. „Nein. Ich schmeiß mich ja nicht vor den Zug”, sagte er, als das Licht ausging. „Hör mal, ich versuch es dir nachher zu erklären, okay?”
Leon musterte ihn einen Moment und nickte dann. „Okay, auf die Erklärung bin ich gespannt.”
Ryan lächelte und stellte die Tüte mit dem Popcorn auf sein Bein.
Der Film war gut. Viel Action und eine gute Handlung.
Mitten im Film griffen beide gleichzeitig in die Popcorn-Tüte und irgendwie hielt Ryan nun Leons Hand fest. Für fünf endlos lange Sekunden war der Film vergessen. Sie blickten sich nur in die Augen, und es war ein regelrechter Funkenschauer, der Leon bis in die tiefsten Eingeweide traf.
Ryan lächelte verlegen und zog seine Hand zurück.
„Sorry”, flüsterte Leon, doch Ryan schüttelte den Kopf und zwinkerte ihm zu. Er schaute wieder nach vorn, doch Leon bekam von dem Film nicht mehr viel mit. Er starrte auf die Leinwand, doch eigentlich geradewegs hindurch. Seine Gedanken kreisten nur um Ryan, um seine Augen, um seine warme Hand und um sein Lächeln. Verzweifelt biss sich Leon auf die Lippe, als er spürte, wie Ryan ihn beobachtete. Ein scheues Grinsen zog sich über sein Gesicht, welches Ryan amüsiert erwiderte. Noch nie war Leon so dankbar über das Ende eines Films gewesen. Er zog seine Jacke an und verließ fast schon fluchtartig das Kino. Gierig atmete er die Abendluft ein und wickelte sich seinen Schal um den Hals.
„Der war gut, oder?”, sagte Ryan und zog den Reißverschluss seiner Jacke zu.
„Ja …”, murmelte Leon. „So, nun erklär mal!”
Ryan musste nicht fragen, was sein Freund meinte. „Fahr zum Bahnübergang.”
Widerwillig ließ sich Leon darauf ein. Nach einer halben Stunde waren sie angekommen, und Ryan stieg aus.
„Na los, komm mit. Ich verspreche dir, es wird nichts passieren.”
Leon folgte ihm zögerlich, ging dann aber langsam neben Ryan her. Er weigerte sich, auf dem Gleisbett zu laufen, das tat Ryan allein.
„Wenn ich sauer bin, oder verwirrt, traurig … was auch immer, komme ich her, oder ich klettere im Sommer auf die Berge. Es ist der Nervenkitzel, der sämtliche Emotionen, die dich vorher vielleicht aufgeregt haben, verschwinden lässt. Wenn du den Zug hörst, die Lichter siehst und du weißt, er ist in wenigen Momenten bei dir angekommen … das setzt unglaublich viel Adrenalin frei.”
„Hast du keine Angst, dass er dich eines Tages doch erwischt?”, fragte Leon.
„Nein, weil ich vorher abspringe. Leon, denk bitte nicht, ich sei lebensmüde oder hätte Todessehnsucht. Ich hänge an meinem Leben. Es gäbe zu viel, was ich nicht bereit bin, aufzugeben!”
„Zum Beispiel?” Leon wollte es genauer wissen.
„Michelle. Ich hänge sehr an ihr, und ich schätze, sie würde nicht zu meiner Beerdigung kommen, wenn ich durch so was drauf gehe.”
„Nein, ganz sicher nicht”, lächelte Leon.
„Meine Mum!”, zählte Ryan weiter ungefragt auf. „Ich könnte es mir nicht verzeihen, wenn ich sie mit meinem Vater allein lassen würde.”
„Wenn du tot wärst, Snoopy, wäre es nicht mehr wichtig, was du dir verzeihen würdest”, warf Leon trocken ein. Er war immer noch geschockt.
„Stimmt wohl.” Ryan schwieg einen Moment, während sie weitergingen. „Dich!”
Leon wandte ihm den Kopf zu, sagte aber nichts.
„Ähm … ich denke, ich könnte dich genauso wenig aufgeben.” Ryan atmete tief durch und schüttelte den Kopf. „Ich kann so was nicht”, sagte er nervös.
„Was kannst du nicht?”
„Über Gefühle und so reden.” Ryan schaute hinauf in den Himmel und schwenkte nach rechts, hinunter von den Gleisen. „Lass uns zurück fahren. Ich würde gern noch nach Ashley sehen. Sie hinkt ein wenig.”
Leon sah ihn überrascht an, nickte jedoch und sie gingen zusammen zurück zum Auto.
Ryan bekam den
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