Gegengift: Europa stiehlt euch die Zukunft. Wie ihr euch wehrt. (German Edition)
Darin steht, warum er keinen Job bekommt, was natürlich nie etwas mit ihm persönlich zu tun hat. Dem Kuvert beigefügt ist ein Einkaufsgutschein. Das ist wirklich mehr, als ihr erwarten könnt.
Ich lese eure Blindbewerbungen manchmal. Es fasziniert mich, dass manche trotz eurer Artigkeit gar nicht so perfekt sind. Viele sind voller Rechtschreib- und Formulierungsfehler, als wärt ihr in Wirklichkeit Punks, die mit ihren Hunden vor U-Bahn-Stationen sitzen, Geld schnorren und Rotwein aus dem Karton trinken. Irgendwie würde euch das sogar interessanter machen.
Euer Hauptproblem ist, dass es die Jobs, die ihr euch damit angeln wollt, kaum noch gibt. Ihr jagt einem Phantombild hinterher.
Die Jobs, die ihr euch wünscht, haben vielleicht eure Eltern noch, und die kommen damit vielleicht noch bis zur Rente durch. Nachbesetzt werden sie kaum noch, jedenfalls nicht zu gleichen Konditionen.
Verlässt ein Angestellter eine Firma, folgen ihm meist freie Mitarbeiter, Teilzeitkräfte oder Azubis. Bei der Lufthansa zum Beispiel ist die Zahl der Piloten mit klassischen Arbeitsverträgen bei Weitem nicht im gleichen Verhältnis gewachsen wie die Flotte des Konzerns. Die zusätzlichen Flüge erledigen billigere und flexiblere Piloten in Tochtergesellschaften der Lufthansa , die dann „ Augsburg Airways “, „ Cityline “ oder „ Germanwings “ heißen.
Wenn ihr doch noch einen Angestelltenjob abbekommt, hat er einige gravierende Nachteile.
Erstens. Ein klassischer Angestelltenjob ist zur unsichersten Art geworden, Geld zu verdienen.
Wenn ihr euch als Angestellte wie Fische im Wasser treiben lasst, kommt irgendwann mit Sicherheit ein Hai und frisst euch auf. Der Hai heißt Wirtschaftskrise, Restrukturierung oder Outsourcing.
Der Hai kann als neuer Chef kommen, bei dem ihr euch nicht im richtigen Tonfall angedient habt, oder als neuer Chef eures Chefs, der unter sich mal kräftig aufräumt und seine eigenen Leute mitbringt. Die Haie kommen in guten wie in schlechten Zeiten. Als die englische Bank HSBC vor Kurzem hohe Gewinne präsentierte, sprach sie gleichzeitig 30.000 Kündigungen aus. Der neue Vorstand hatte Ziele. Er wollte das Unternehmen schlanker und rentabler machen.
Zweitens. Ihr seid ersetzbar. Denn Sachbearbeiter schieben Dinge von A nach B und von B nach C, verwalten die Erfolge anderer und handeln nach Vorschriften, die andere für sie gemacht haben. Es ist ziemlich egal, ob solche Aufgaben Sachbearbeiter 351 oder Sachbearbeiter 425 erfüllt.
Angestellte heißen in den Firmen Disponenten, Analysten oder Junior Consultants, aber in Wirklichkeit sind sie einfach Sachbearbeiter. Sie treffen keine wirtschaftlichen Entscheidungen, bahnen keine großen Geschäfte an, verfassen keine Verträge, verkaufen nichts und tragen kaum Verantwortung.
Drittens. Sachbearbeiter verdienen wenig. Sie sind keine Leistungsträger und haben keine Verhandlungsmacht. Als Angestellte könnt ihr bei Gehaltsverhandlungen argumentieren, dass Kollege 212 oder Kollegin 427 für die gleiche Arbeit mehr bekommt. Das führt dann vielleicht dazu, dass Kollege 212 oder Kollegin 427 fliegen. Um die Kollegen täte es euch wahrscheinlich nicht leid, aber danach würdet ihr auf der Einkommensliste weiter oben stehen und den Controllern in der Zentrale, die euch gar nicht kennen, eher auffallen. Dann seid vielleicht ihr es, die beim nächsten Einsparungsprogramm fliegen, egal wie brav ihr die Dinge von A nach B und von B nach C schiebt. Also fragt ihr erst gar nicht nach einer Gehaltserhöhung. Gut für euren Verbleib in der Firma, aber schlecht für eure Lebensqualität. Von dem Wenigen, was ihr verdient, zahlt ihr dann auch noch die höchsten Steuern aller Einkommensgruppen.
Viertens. Eure Konkurrenz wird härter. Sie besteht nicht mehr nur aus den billigeren Osteuropäern, sie ist längst global. Wenn ihr in einem Callcenter anruft, steht das Telefon am anderen Ende der Leitung vielleicht in Indien oder in der Türkei. Dort sind die Löhne niedriger und wenn einmal weniger Anrufe kommen, lassen sich die Dienstverträge leichter lösen.
Fünftens. Bequem ist ein Angestelltenjob schon lange nicht mehr. Wenn ihr gut dastehen wollt, müsst ihr ziemlich viel schuften. Spannend sind die in den vergangenen Jahren dazugekommenen Belastungen nicht. Ihr müsst schon auf den untersten Hierarchieebenen viel Zeit für die Erhaltung eures Jobs aufwenden. Ihr müsst noch mehr dienen und euch gegen Mobbing von oben, links, rechts und unten wehren. In
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