Gegensätze ziehen sich aus
Lackstiefeletten. Um ihren Hals baumelte eine Kette mit einem riesigen Drudenfuß.
»Das ist nicht Öko, das ist eher Ethno gepaart mit ein bisschenAchtzigerjahre-Retro und einem Hauch Gothic«, murmelte Anne, die in ihren verbeulten Jeans und einem sackähnlichen Strickpullover sicher auch nicht Herrn Mosers Idealvorstellungen eines vertrauenerweckenden Geschäftspartners entsprach.
Ich sah unsere Felle längst wegschwimmen. Dabei war der Laden wirklich toll. Wenn man sich Herrn Mosers Einrichtung und die Rest-Waren wegdachte und sich frische Farbe an den Wänden vorstellte. Die Verkaufsfläche hatte knappe sechzig Quadratmeter, hinten gab es einen Lagerraum, ein kleines Büro, eine Teeküche und ein richtiges Badezimmer. An der geschwungenen Schaufensterfront konnte ich mich gar nicht genug sattsehen. Eine Schande, sich dieses Juwel mit blöden Postern verschandelt vorzustellen, auf denen »LAST MINUTE - Türkei - 4 Sterne all inclusive - zwei Wochen für nur 765 Euro« stand.
Aber Herr Moser fühlte sich den Leuten vom Reisebüro offenbar irgendwie verbunden.
»Meine Frau und ich sind auch schon mal mit Palmen-Reisen nach Teneriffa geflogen«, sagte er. Seine Frau war im vorletzten Jahr gestorben. Eigentlich war es andersherum gedacht gewesen, hatte er uns erklärt: Herr Moser hätte vor seiner Frau sterben müssen, darauf war die ganze Altersversorgung aufgebaut gewesen. Jetzt musste er in der Wohnung über dem Ladenlokal wohnen bleiben und künftig von der Miete leben.
»Wo kaufen Sie Ihre Schuhe?«, fragte Trudi.
»Ich ...« Herr Moser blickte auf seine dunklen Halbschuhe hinab. »Das hat meine Frau immer für mich gemacht.«
»In Zukunft müssten Sie nur die Treppe hinuntergehen, wenn Sie ein Paar neue Schuhe brauchen«, sagte Trudi. Herr Moser sah nicht so aus, als ob ihn diese Vorstellung besonders glücklich machte. Er fixierte den Drudenfuß auf Trudis Brust und schwieg.
»Was kosten eigentlich die Lava-Lampen da vorne?«, fragte ich ablenkend.
»Die blaue oder die rote?«, fragte Herr Moser.
»Die Räumlichkeiten haben sehr viel Potenzial.« Mimi hatte endlich auch ihren Rundgang beendet und trat wieder zu uns. Wie gut, dass sie im Kontrast zu Trudi einen schwarzen Hosenanzug und eine sehr schicke Aktentasche trug. Und eine Brille, die ihr ein extrem seriöses, ein wenig strenges Aussehen verlieh. Ich hatte gar nicht gewusst, dass sie eine Sehschwäche hatte.
»Die Ladenmiete ist natürlich nicht gerade niedrig«, sagte Mimi und rückte die Brille auf der Nase zurecht. »Und der Zustand ist ähm sehr ...«
»Ich lasse alles in Stand setzen«, fiel Herr Moser ihr ins Wort. »Bis Ende des Monats ist der Laden geräumt, dann kommen die Maler. Palmen-Reisen würde bereits im Dezember übernehmen.«
»Wir könnten frühestens im Februar eröffnen«, sagte ich. Man brauchte sich (und Herrn Moser) nichts vorzumachen: Der Besuch bei der Bank wegen der Finanzierung stand uns erst noch bevor, und die Liste der Formulare und Genehmigungen, die wir bearbeiten und beantragen mussten, war erschreckend lang. Außerdem hatten wir bei der flüchtigen Lektüre eines Buches mit dem Titel »Kleine Schuhkunde« festgestellt, dass keiner von uns den Unterschied zwischen einem Jodhpur-Boot und einem Chelseaboot kannte. Das Seminar für Existenzgründer im Einzelhandel, für das wir uns angemeldet hatten, fand im Januar statt. Wir hofften, dass wir danach ein wenig klüger sein würden.
»Der Bodenbelag müsste auch erneuert werden«, sagte Mimi und zeigte auf einen tiefen Kratzer im Linoleum.
»Allerdings«, sagte Trudi. »Der sieht aus wie Erbrochenes.« Jetzt, wo sie es sagte, merkte ich es auch. Das Muster des Bodenssetzte sich aus ungleichmäßigen Schlieren in Senfgelb und verschiedenen Brauntönen zusammen. Anne legte sich die Hand auf den Magen. Die Ärmste hatte immer noch sehr mit Morgenübelkeit zu kämpfen.
»Das war damals der letzte Schrei«, sagte Herr Moser. »Außerdem sieht man den Dreck nicht so darauf. Sie glauben ja nicht, was die Leute alles so mit reinschleppen.«
»Doch«, sagte Mimi. »Deshalb muss der neue Bodenbelag auf jeden Fall extrem strapazierfähig sein, und das kostet!« Sie seufzte, und Herr Moser seufzte gleich mit.
»Alles ist so teuer geworden«, murmelte er. »Und man ist ja auch nicht mehr der Jüngste. Früher habe ich alles selber gemacht. «
»Und Handwerker sind so unzuverlässig«, sagte Anne. »Die guten sind auf Jahre im Voraus ausgebucht.« Herr Moser nickte
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