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Gegensätze ziehen sich aus

Titel: Gegensätze ziehen sich aus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Gier
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Speisekarten sind auf deutsch«, sagte meine Mutter zu Polly. »Ich dachte schon, wir müssten so einen französischen Chichi bestellen, wie den so eingebildete reiche Knöppe immer essen.«
    Nelly versuchte, mich unter dem Tisch zu treten, und blinzelte mir verschwörerisch zu. Ich war froh, sie dabei zu haben, und seies nur als Zeugin für all die fürchterlichen Dinge, die meine Eltern noch sagen würden.
    »Und Sie machen also das Aspirin«, sagte mein Vater zu Rudolf.
    »Aspirin ist von Bayer«, sagte Rudolf. »Wir sind ja Alsleben Pharma.«
    »Ah, ja«, sagte mein Vater. »Und was kennt man so von Ihnen?«
    »Xyladon ist von Alsleben«, sagte Rudolf. »Und Metrodoxyn.«
    »Sagt mir jetzt nichts«, sagte mein Vater. »Aber ich nehme ja so was auch nicht.«
    »Da bin ich aber froh«, sagte ich. Metrodoxyn war ein Potenzmittel.
    »Wir sind ja im Allgemeinen nicht für Medikamente«, sagte meine Mutter. »Aber es ist schon in Ordnung, wenn man sein Geld damit verdient.«
    Als das geklärt war, bestellte jeder sein Essen.
    »Na, wie heißt denn dein Teddy«, fragte meine Mutter Emily, die ihr schräg gegenübersaß. Sie sprach sehr laut und langsam und betonte jedes Wort besonders deutlich. Offenbar glaubte sie, Emily spräche aufgrund ihres fremdländischen Aussehens unsere Sprache nicht und/oder sei hörgeschädigt.
    Teddy? Ich sah einigermaßen verblüfft zu Emily hinüber. Tatsächlich, sie hatte einen Teddybären auf ihrem Schoß sitzen.
    »Er hat keinen Namen«, sagte sie. »Aber er braucht einen.« Sie wandte sich an Julius. »Wie heißt denn dein Bär, falls du einen hast?«
    »Der heißt Bär«, sagte Julius, einigermaßen verwundert, dass Emily überhaupt mit ihm sprach und dann auch noch so freundlich.
    »Und deiner, Nelly?«
    »Esel«, sagte Nelly. »Weil er kein Bär ist, sondern ein Esel. Aber als ich so alt war wie du, hatte ich auch einen Bären. Ich weiß nur nicht mehr, wie der hieß.«
    »Ich bin ein doofer Bär, und keiner hat mich lieb«, sagte ich. Mit Tiernamen hatten wir es in unserer Familie nicht so.
    »Wie findet ihr Emil?«, fragte Emily.
    Wir fanden Emil alle gut.
    »Constanze hatte als Kind eine Robbe«, sagte meine Mutter. »Sie hat ihre Flossen immer unter ihrer Nase hin und hergerieben und dabei am Daumen gelutscht. Nach einer Zeit war die Robbe ganz knüselig und voller Bakterien. Kein schöner Anblick, wirklich nicht.«
    Ah, ja, dann konnte es ja jetzt losgehen. Seltsamerweise war ich viel gefasster, als ich vermutet hätte. Es lag wohl an diesem Knoten in meiner Brust. So ein Knoten lässt einen selbst die peinlichsten Situationen recht stoisch ertragen, man denkt die ganze Zeit: »Ach, was soll's, es gibt Schlimmeres.«
    »Sie hing abgöttisch an dem Vieh«, sagte mein Vater. »Ständig hat sie es mit sich herumgeschleppt und angenuckelt. Und als eines Tages ihr kleiner Bruder das Tier in die Jauchegrube geworfen hat, ist sie hinterher geklettert und hat es gerettet.«
    »Ach, wie süß«, sagte Polly.
    »Von wegen süß!«, sagte meine Mutter. »Tagelang hat das Kind noch nach Jauche gerochen. Besonders bei Regenwetter.«
    »In der Schule wollte keiner neben ihr sitzen«, sagte mein Vater.
    Ach, was soll's, es gibt Schlimmeres.
    Ich sah Anton von der Seite an und hoffte, er würde meine Eltern nicht nach meinen diversen Karrieren als semiprofessionelle Sängerin, Rettungsschwimmerin und Schachspielerin fragen. Aber offensichtlich genügten ihm die uneingefordert vorgebrachtenInformationen meiner Eltern bereits vollauf. Er hob sein Glas und prostete mir zu.
    Das Thema Jauchegrube war damit schon mal abgehakt.
    »Und wie hieß deine Robbe?«, wollte Emily wissen.
    Ich behauptete, ich wüsste es nicht mehr.
    »Sie hieß Stinker«, sagte mein Vater.
    Anton griff unter dem Tisch nach meiner Hand.
    »Ihr Bruder hat sie so genannt«, sagte meine Mutter. »Er ist drei Jahre jünger als Constanze, aber er konnte ein halbes Jahr vor ihr Fahrrad fahren. Sie war mit allem so langsam.«
    Anton drückte meine Hand ein bisschen fester.
    »Außer mit dem Kinder kriegen«, sagte mein Vater. »Da hinkt unser Sohn leider ein wenig hinterher.«
    »Aber sonst haben wir keinen Grund, über ihn zu klagen«, sagte meine Mutter, womit sie bei ihrem Lieblingsgesprächsthema angelangt war: meinem Bruder. Er kam in der Hierarchie der Lieblingsthemen noch vor Tante Gertis Raucherbein und dem Wetter. Antons Händedruck wurde, wenn möglich, noch fester. Leider musste er mich loslassen, als die Suppe gebracht

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