Gegensätze ziehen sich aus
Da wir bei dem sonnigen, kalten Herbstwetter auf der Terrasse und im Wintergarten feiern wollten, hatte ich beschlossen, dass heute der ideale Zeitpunkt für den ersten Glühwein des Winters gekommen war. Jedenfalls für alle nichtschwangeren Erwachsenen. Neben Rotwein, Orangenscheiben, Zimt, braunem Zucker und drei Beutel Glühweingewürz kippte ich kurzentschlossen auch noch eine Flasche Weinbrand in den Topf. Und den Rest vom Whisky kippte ich gleich hinterher. Dafür verlängerte ich das Ganze mit einem Liter gut gesüßten Früchtetee und etwas Orangensaft.
Nelly probierte eine Teelöffelspitze davon, hustete fürchterlich und meinte, von dem Zeug würden einem die Ohren qualmen. Ich probierte auch und fand, man schmeckte den Alkohol kaum. Sicherheitshalber rührte ich aber noch ein paar Löffelchen Zucker darunter.
Als erster Gratulant kam Kevin Klose, ausnahmsweise mal ohneBegleitung. Er schenkte mir einen wunderschönen blauschimmernden Muskatkürbis.
»Oh, lieber Junge, du sollst doch kein Geld für mich ausgeben«, sagte ich.
»Keine Sorge, den habe ich bei unseren Nachbarn gepflückt«, beruhigte mich Kevin. Er und Nelly hatten sich wieder vertragen, weil Kevin sich entschuldigt hatte. Nelly sei nicht unnormal, sie sei nur anders, hatte er gesagt, und Nelly meinte, damit könne sie leben.
Ich hatte zum Brunch eingeladen, und bis zwölf Uhr waren daher fast alle Gäste erschienen: Anne mit Jo, Jasper und Joanne, Anton und Emily, Trudi, Gitti Hempel von nebenan mit ihrer Tochter Marie-Antoinette und Paris und Lorenz. Ich hatte lange mit mir gerungen, ob ich sie einladen sollte, aber Paris wäre sehr beleidigt gewesen, wenn sie sich ausgeschlossen gefühlt hätte, und wir brauchten sie schließlich noch als Einkaufsberaterin für unseren Schuhladen.
Lorenz fühlte sich in Antons Gegenwart sichtlich unwohl, weshalb ich ihm gleich zu Beginn eine extra große Tasse Glühwein einschenkte.
»Schönes Wetter, heute«, sagte Lorenz da zu Anton, und Anton sagte: »Ja, wirklich sehr schön.« Dann unterhielt er sich mit Jo über die Renovierungsarbeiten in unserem Ladenlokal, und Lorenz setzte sich auf die Korb-Chaiselongue und schloss die Augen.
Paris belegte Anne mit Beschlag, um mit ihr Schwangerschaftsthemen zu erörtern. Aber Anne war ein wenig schlecht gelaunt, weil Mimi und Trudi morgen nach Mailand fliegen würden und sie nicht.
»Was hältst du von Es geht auch ohne Windeln?.«, fragte Paris. »Ich habe es gelesen und bin sehr überzeugt.«
»Ist das ein Buchtitel?«
»Kennst du das etwa nicht? Da geht es darum, dass Kinder, die man nicht in Windeln presst, ihre Ausscheidungen viel früher kontrollieren können und viel freier groß werden. Außerdem entsteht eine wunderbar innige Bindung zwischen Mutter und Kind.«
»Weil das Kind der Mutter immer direkt auf den Arm kackt und pieselt?«, fragte Anne. »Ich fasse es nicht, was die Leute alles veröffentlichen dürfen.«
»Also, ich erwäge wirklich, die Windeln wegzulassen«, sagte Paris. »In meinem Schwangeren-Forum praktizieren das einige, und die sagen, das sei eine ganz tolle Erfahrung.«
»Ja«, sagte Anne. »Wenn man auf so was steht, ist das bestimmt super. Hör mal, Paris, du kannst es nicht wissen, aber es gibt Babys, die pfeffern alle halbe Stunde ein Häufchen raus, und da du ja gleich zwei bekommst ... Stell dir das bitte nicht wie einen hübschen, trockenen Hasenköttel vor, sondern mehr so wie Apfelmus. In braun. Und in stinkend.«
»Ich finde es erstaunlich, dass du als Hebamme ...«, sagte Paris.
»Ach, den Job hätte ich längst an den Nagel hängen sollen«, sagte Anne. »Ich hätte besser mal ein paar Bücher geschrieben. Es geht auch ohne Wehen. Oder Es geht auch ohne Schwangerschaftsratgeber. Oder Es geht auch ohne Kinder. Schön blöd, das große Geld immer anderen zu überlassen.«
»Schade, dass ihr beiden nichts von meinem leckeren Glühwein trinken könnt«, sagte ich.
»Das finde ich auch sehr schade«, sagte Anne. »Das kannst du mir glauben!«
»Ist doch gut gelaufen mit unseren Eltern gestern«, sagte Anton.
»Findest du?« Ich sah ihn ungläubig an.
»Doch, wirklich, alles ganz entspannt«, sagte Anton. »Obwohl man schon den Eindruck gewinnen könnte, dass sie dich nicht so großartig finden, wie du bist.«
»Ja, den Eindruck könnte man wohl gewinnen.«
»Aber Eltern sind so«, sagte Anton. »Sie kritisieren immer mehr an ihren Kindern herum, als dass sie sie mal loben. Ich wette, dafür schwärmen sie
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