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Gegensätze ziehen sich aus

Titel: Gegensätze ziehen sich aus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Gier
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Kühlfach.
    »Vanille!«, schrien die Jungs.
    »Vanille und Erdbeer«, schrie Nelly.
    »Ihr wollt mir echt weismachen, Coralie hätte das alles nur erfunden?«, sagte Mimi, die offenbar die ganze Zeit auf der Leitung gesessen hatte.
    »Ja, du Schnelldenkerin«, sagte Nelly.
    »Aber ihr kennt sie gar nicht. Ihr habt nicht gehört, nicht gesehen, wie sie uns ihre Lebensgeschichte erzählt hat ... Ihr habt ihr nicht in die großen blauen Augen geschaut ... Sie hat wirklich alles von Harry Potter geklaut?«
    »Freu dich doch!«, sagte ich. »Du wolltest doch so ein verkorkstes Kind, um Ronnie zu beweisen, dass Adoption eine bescheuerte Idee ist.«
    »Es könnte doch sein, dass es gewisse Parallelen zwischen ihr und Harry ...«, murmelte Mimi. »Selbst wenn sie gelogen hätte ...«
    »Sie hat gelogen. Ich würde das Kind an deiner Stelle wieder zurückgeben.«
    »Oder umtauschen«, sagte Nelly.
    Aber davon hielt Mimi nichts. »Wenn es wirklich alles gelogen ist, dann doch nur, um unsere Aufmerksamkeit zu gewinnen.«
    »Mimi, dieses Kind hat Eltern. Es ist nicht zur Adoption freigegeben.«
    »Das weiß ich, das weiß ich. Aber sie bettelt förmlich um Liebe. Und wahrscheinlich denkt sie, sie bekommt nur Zuneigung, wenn sie die Wirklichkeit noch schlimmer macht, als sie ist.« Mimi nahm einen Schluck von ihrem Kaffee. »Oder vielleicht ist die Wirklichkeit ja noch schlimmer als bei Harry Potter.«
    »Das geht wohl kaum!«
    »Alkoholiker in der Familie. Ein schlagender Vater. Sexueller Missbrauch ... Wir wissen doch, in welch elenden Verhältnissen die Kinder heutzutage groß werden müssen.«
    »Wem sagst du das«, seufzte Nelly und leckte an ihrem Eis. »Du musst selber wissen, ob du dich verarschen lassen willst.« Sie beugte sich über ihr Gedicht. »Und doch ist einer, welches dieses Fallen unendlich sanft in seinen Händen hält.«
    »Amen«, sagte ich.
    * * *
    In den ersten zwanzig Minuten der großen Bauer-Alsleben-Familienzusammenkunft verhielten sich meine Eltern erstaunlich normal, auch wenn sie auf dem Spaziergang bis ins Restaurant Vermutungen geäußert hatten, dass die Alslebens »eingebildete, reiche Knöppe« seien und sicher nicht damit einverstanden, dass ihr Sohn mit der Tochter nordfriesischer Milchbauern anbandelte.
    Und irgendwo müsse »die Sache« ihrer Ansicht nach noch einen Haken haben. Man läse ja heutzutage so viel über Anwälte und ihre Verwicklungen in Mafia-Geschäfte und über Männer, die sich eine Frau nur zwecks späterer Organspende anlachten und so weiter und so fort. Fantasie hatten meine Eltern ja, das musste man ihnen lassen.
    Aber dann benahmen sie sich doch recht freundlich. Offensichtlich überrascht von Pollys und Rudolfs herzlicher Begrüßung schüttelten sie Hände, machten höfliche Konversation und lächelten sogar.
    Dass mein Vater »Ach, da liegt der Hase im Pfeffer« sagte, als er Emily erblickte, bekam glücklicherweise niemand außer mir mit. Anton trug Anzug und Krawatte und sah umwerfend aus, es schien ihm wichtig zu sein, dass meine Eltern ihn nicht im Jogginganzug in Erinnerung behalten würden.
    Als wir alle an der weiß eingedeckten Tafel Platz genommenhatten - leider konnte ich nicht verhindern, dass meine Eltern sich gegenüber von Antons Eltern niederließen -, hielt Anton eine kleine Rede darüber, wie froh er sei, heute Abend mit allen Anwesenden in meinen Geburtstag hineinfeiern zu können, und wie wunderbar er es fände, dass unsere Familien sich zu diesem Anlass endlich kennen lernen durften. Ich schluckte.
    Nelly sah mich mitleidig an, alle anderen erhoben ihre Gläser und stießen damit an.
    »Auf Constanze«, sagte Anton feierlich. »Und auf ihre Eltern, die ihr morgen vor genau sechsunddreißig Jahren das Leben geschenkt haben.«
    »Auf Constanze, die meinen Sohn und meine Enkeltochter sehr glücklich macht«, sagte Polly. »Auch wenn ich das anfangs nicht gedacht hätte.«
    Nein, ich auch nicht. Und eigentlich dachte ich es jetzt immer noch nicht. Verstohlen sah ich zu Emily hinüber, ob sie vielleicht eine Grimasse gezogen hatte. Hatte sie aber nicht. Sie trank einen Schluck Apfelschorle auf mein Wohl.
    »Auf Constanze«, sagten alle außer mir. Ich lächelte nur tapfer, wohlwissend, dass mein Gesicht vorübergehend die Farbe der Tomatensuppe angenommen hatte, die gerade am Nachbartisch serviert wurde.
    Als wir den schmalzigen Teil des Abends hinter uns gebracht hatten, begann dann endlich der unangenehme Teil.
    »Ach, Gott sei Dank, die

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