Gegenwind
Ordnung.« Er maß den Jedi mit einem langen Blick. »Als Kind habe ich einmal eine Woche damit verbracht zu berechnen, in welche Richtung mein Leben sich entwickeln könnte.« Er lächelte, und nun fiel Jaden zum ersten Mal auf, dass einer von Marrs Schneidezähnen abgebrochen war. »Ich bezog alle Faktoren ein – Vorlieben, Herkunft, physische Merkmale. Ich malte mir sogar mit geringer Wahrscheinlichkeit aus, dass ich den Pfad der Jedi einschlagen könnte. Amüsant, nicht wahr?«
Jaden wählte seine Worte mit Bedacht. »Ich glaube, deine Berechnungen waren ziemlich präzise.«
Der Cereaner schien ihn nicht zu hören. Seine Augen blickten durch den Jedi hindurch in die Vergangenheit, auf ein Erlebnis, das sein Leben verändert hatte. »Es war kindisch. Zeitverschwendung. Ich musste eben erst noch lernen, dass das Leben nicht derselben Ordnung unterworfen ist wie Zahlen. Es ist voller Variablen, die sich ständig verändern. Es lässt sich nicht berechnen. Ich glaube, dass ich damals nur meinen Hoffnungen Ausdruck verleihen wollte.«
»Das Leben ist unberechenbar«, stimmte Jaden ihm zu. Er dachte an all die Unwägbarkeiten, denen er sich schon gegenübergesehen hatte, an all die Entscheidungen, die ihm so kurzfristig aufgezwungen worden waren … an den Aktivierungsknopf einer Luftschleuse, den er am liebsten ganz aus seiner Erinnerung verdrängen wollte …
»Später entschied ich, dass ich das Leben leben sollte, anstatt immer nur darüber nachzudenken und es in mathematische Einheiten zu zerlegen. Kurz darauf traf ich dann Captain Faal. Er ist ein guter Mensch, ob du es glaubst oder nicht.«
»Oh, das glaube ich durchaus. Wo hast du deine mathematischen Kenntnisse erlangt?«
Marr runzelte die hohe Stirn. »Ich habe keine Universität besucht, falls du das meinst. Ich hatte einige Privatlehrer, aber das meiste habe ich mir selbst beigebracht. Ich bin wohl einfach mit einem Talent für Zahlen geboren worden, schätze ich.«
»Es ist also intuitiv«, sagte Jaden ohne echte Überraschung.
»Ja.«
Kurz überlegte der Jedi, ob er Marr über seine Machtempfänglichkeit aufklären sollte, dann entschied er sich jedoch dagegen. Warum sollte er dem Cereaner diese Bürde auferlegen? Schließlich war er selbst auch viel glücklicher gewesen, als er die Macht noch unwissentlich benutzt hatte. »Gehen wir nach vorne«, sagte er und stand auf. »Ich möchte mir diesen Mond ansehen.«
Als sie das Cockpit betraten, saß Khedryn zurückgelehnt im Pilotensessel. Seine Füße hatte er auf das Instrumentenpult gelegt, und sein Blick ruhte auf dem blauen Strudel jenseits der Transparistahlscheibe.
»Ich habe gehört, dass es einen verrückt machen soll, wenn man zu lange in den Hyperraum blickt«, sagte er. »Aber ich sehe mir dieses Bild nun schon seit Jahren an, und ich bin immer noch normal.«
»Normal ist ein relativer Begriff, Captain«, entgegnete Marr mit einem trockenen Lächeln, als er sich in seinen Sitz fallen ließ.
Khedryn hob in gespielter Empörung die Arme und blickte zu Jaden auf. »Da siehst du, womit ich mich schon seit sechs Jahren herumschlagen muss!«
»Seit sechs Standardjahren, vier Monaten und neunzehn Tagen«, korrigierte der Cereaner.
»Und penibel ist er auch noch!«, rief Khedryn aus. Jaden musste lächeln. Die Kameradschaft zwischen den beiden erfüllte ihn mit einer Wärme, die er schon lange nicht mehr gefühlt hatte. Vor einiger Zeit hatte er sie in der Gegenwart der anderen Jedi verspürt, aber dann waren die Gefühle der Zugehörigkeit und des Vertrauens verblasst, und Zweifel und Einsamkeit hatten ihren Platz eingenommen. Was für eine Ironie, dass er diese Wärme ausgerechnet hier, in den Unbekannten Regionen, in der Gegenwart zweier halbseidener Halunken wiederentdecken sollte.
Marr blickte auf seine Instrumente. »Wir verlassen den Hyperraum in drei, zwei, eins …«
Khedryn nickte und deaktivierte den Hyperantrieb. Blau wurde zu Schwarz, durchstochen von zahllosen weißen Lichtpunkten. Die Tagseite eines blauen Gasriesen schob sich träge wie ein trächtiges Bantha vor die Cockpitfenster, und die Verwirbelungen der Gaswolken in seiner Atmosphäre schienen wie ein Echo des mahlenden Hyperraumtunnels, den sie soeben hinter sich gelassen hatten. In Äquatornähe prangte das Oval eines gewaltigen Sturms über der nebelverhangenen Oberfläche – ein starrendes Auge, das sie erwartungsvoll beobachtete. In einem Winkel von fünfzehn Grad zum Äquator reihten sich mehrere Dutzend
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