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Gegenwinde

Gegenwinde

Titel: Gegenwinde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Adam
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eine gute Stunde gequatscht, er vor seinem Hügel und ich vor der Werkbank, einem senkrechten Holzbrett mit Nägeln, an denen Schraubenzieher und Zangen, Päckchen mit Muttern und Schraubenschlüssel hingen. Spinnen mit langen Beinen staksten dazwischen herum. Das Gespräch bewegte sich locker von einem Thema zum andern, ich ging mehrere Runden durch den Garten, zupfte Unkraut, zerkratzte mir die Hände an einem Busch. Am wolkenzerfetzten Himmel glänzte ein sehr weißer und fast voller Mond. Dann habe ich aufgelegt, auf halbem Weg zwischen hier und dort, zwischen der zerklüfteten Küste, wo sich mein Leben jetzt wieder abspielte, und den Ahornwäldchen, den verlassenen Tempeln, den Heiligtümern mit den aufgereihten Steinen, wo sich noch für ein paar Wochen das seine abspielen sollte. Ich habe mich wieder an die Arbeit gemacht, die Müdigkeit überkam mich, meine Füße und Arme waren steif vor Kälte. Als alles irgendwie zu halten schien, habe ich das Ganze aufgestellt, es war schwer wie zehn tote Esel und wackelte ein wenig, ich habe die Schrauben nachgezogen, ab und zu gab eine Wolke der Nacht ihre natürliche Dunkelheit zurück. Es war schon fast drei Uhr, als ich die vier mit dem Spaten ausgehobenen Löcher mit Beton auszugießen begann. Ich versenkte die Anker in der dickflüssigen Masse. Danach musste ich nur noch die Rutsche montieren. Das Holz leistete Widerstand, ich konnte noch so fest drücken, es ging nicht. Ich wollte zum Schuppen, meine Füße verfingen sich in den Leitersprossen, sechs verfluchten kleinen grüngestrichenen Eisenstangen, die einen schrecklichen Radau machten. Ich hatte Erde im Mund, einen faden Geschmack von totem Holz und schlammigem Wasser. Die Bohrmaschine war lauter als der Motor eines Wasserflugzeugs, aber das flutschte ins Kiefernholz wie in Butter. Ich bohrte acht Löcher, und als der Bohrer aufgehört hatte, sich wie ein Kreisel um sich selbst zu drehen, spürte ich etwas in meinem Rücken. Ich drehte mich um. Da stand klein und durchfroren Clément in seinem zu dünnen Schlafanzug, auf dem Spider-Man sein Netz spann, rieb sich die Augen und schaute mir zu.
    »Was machst du hier? Hab ich dich geweckt?«
    »Nein. Ich hab nicht geschlafen. Ich hab Lärm gehört, das ist alles.«
    Ich fragte lieber nicht, was ihn mitten in der Nacht wach gehalten haben mochte. Ich ging zu ihm und rieb ihm den Rücken, um ihn zu wärmen.
    »Und Manon?«
    »Sie schläft.«
    »Du musst wieder ins Bett gehen, Clément, morgen ist Schule und …«
    »Glaubst du, Mama ist tot?«
    Ich spürte, wie meine Beine unter mir nachgaben. Clément blickte mich mit seinen großen flackernden Augen an, es war das erste Mal, dass er die Frage anschnitt, und er erwartete eine Antwort. Ich sah keine Möglichkeit auszuweichen, mich sauber aus der Affäre zu ziehen. Ich nahm ihn an der Hand, und wir setzten uns ins Gras. Es war feucht und kalt am Hintern und an den Beinen. Auf der anderen Seite der Mauer hatte die Nachbarin in ihrem Wohnzimmer die Lampe angemacht. Ich konnte sie nicht sehen, aber ich stellte sie mir vor, den Blick zum Himmel gerichtet, die Stirn ans Fenster gelehnt, fast durchsichtig im hellen Mondlicht, eine Zigarette zwischen den Fingern der rechten Hand, die Teetasse zum Abkühlen auf dem Tisch. Clément schaute zu Boden, im milchigen Himmel schrie eine Möwe, sonst hörte man sie nie nachts, ich hatte mich immer gefragt, was sie wohl machten, wenn die Sonne untergegangen war, ob sie schliefen oder was, ob sie sich auf einer Insel oder in den Klippen versammelten, um dicht aneinandergedrängt die Nacht zu verbringen.
    »Und du, mein Schatz, was glaubst du?«
    »Ich glaube, dass sie tot ist.«
    »Warum sagst du das?«
    »Weil es nicht anders möglich ist. Sie hätte uns drei nicht einfach so verlassen. Wir haben uns alle vier zu lieb gehabt, oder, Papa?«
    Die Tränen schnürten mir die Kehle zu, meine Augen wurden feucht. Ich zog ihn an mich und drückte ihn, seit Monaten hatte ich ihn nicht mehr so nah, so gegenwärtig gefühlt, und doch drückte ich ihn, als würde er davonfliegen, als könnte das etwas ändern, ihn über was auch immer hinwegtrösten.
    »Komm, mein Schatz«, sagte ich. »Wir gehen schlafen.«
    Er nickte, und wir gingen in mein Zimmer hinauf. Die warme Luft des Hauses hüllte uns ein, meine Füße tauten sofort auf. Während Clément unter die Laken schlüpfte, holte ich Manon, sie hatte ihre Decke zurückgeschoben, und ihr Nachthemd war bis unter die Arme hochgerutscht, so dass

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