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Gegenwinde

Gegenwinde

Titel: Gegenwinde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Adam
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ein Trägertop, nicht selten zog ich die Handschuhe aus und folgte ihr auf das Sofa im Wohnzimmer. In meiner Hosentasche vibrierte mein Telefon. Es war ein Uhr morgens, und ich wusste nicht, wer es sein konnte, außer Tristan. Er lebte seit sechs Monaten in Japan, dass ich so in der Scheiße steckte, hatte ihn erst zögern lassen, er hatte sich nur ein paar Tage vor Sarahs Verschwinden beworben. Ich hatte darauf bestanden, dass er abreiste, ein Jahr in Kyoto, das lehnte man nicht ab, ein Jahr gratis in den Hügeln, das gab es nur ein Mal im Leben, und wenn es nicht Kyoto wäre, was änderte es, dann wäre es San Francisco Toronto Budapest, wir hatten es uns schon lange zur Gewohnheit gemacht, uns nachts zu unterhalten, das Ohr an den Apparat gepresst, wir hatten uns schon lange daran gewöhnt, uns zu verpassen. Von Zeit zu Zeit erschien er bei uns, er kündigte sich ein paar Minuten vorher an, und ich sah ihn am Ende der Straße auftauchen, während sein Zug sich entfernte. Er blieb nie viel länger als eine Woche, nahm die Küche in Beschlag und brachte Stunden damit zu, nach seiner Art Sushi für uns zuzubereiten, jeder seiner Auslandsaufenthalte schien seine Phantasie anzuregen, die auf diesem Gebiet und überhaupt unerschöpflich war, darum hatte ich ihn immer beneidet, in der Küche wie in der Literatur, in der Literatur wie im Leben. Sarah empfing ihn stets mit offenen Armen, sie liebte diese Momente, sie sagte, seine Anwesenheit stehe mir gut, wenn er in der Gegend sei, hätte ich mehr Schwung, würde ich sanfter, irgendwie leichter. Ich hatte sie im Verdacht, ein bisschen verknallt in ihn zu sein. Seine Stimme klang fern, das war ja normal, er rief von einem anderen Morgen, einem anderen Ende der Welt an. Ich hörte gern zu, wenn er mir von seinem Büro erzählte, das auf die Bäume hinausging, von den Nächten, die mitten am Nachmittag hereinbrachen, und früher in der Saison dem Rauschen der Klimaanlage, dem Lärm der Zikaden und der feuchten, stickigen Luft, dem Farn dem Bambus dem Ahorn, den Zypressen dem Lehm dem Moos, den Raben und den Raubvögeln, den Wildschweinen und den Affen. Es schien dort so ruhig zu sein. Ruhig und abgelegen. Es machte mir Spaß, ihm zuzuhören, wenn er von seiner Routine erzählte, mir vorzustellen, wie er jeden Morgen seine Unterkunft verließ, Hand in Hand mit der Gefährtin, die ihn jetzt seit fast einem Jahr begleitete. »Ein Weg verliert sich zwischen Bäumen und Blumen, Laternen, Schnabelgeklapper, Spinnennetzen. Düfte steigen auf und hüllen uns ein, es riecht nach Zucker und Regen, nach Lakritz und Erde. Wir gehen an schmalen Häusern vorbei mit trüben Scheiben, durch die goldenes Licht filtert, die Fassaden duften nach feuchtem Holz. Den ganzen Tag umwandern wir die Stadt, durch die sich der Fluss mit seinen Sandbänken, seinen Reiherkolonien und Fledermausschwärmen windet, fast so hoch wie die Bussarde gelangen wir. Berge umgeben uns, Kanäle führen uns, und überall wuchert das Grün, erobert Ufer und Eisenbahngleise, unbebautes Gelände und Randbezirke, den Sand der sich selbst überlassenen Flächen am Fuß der Häuserklötze und der Plätze mit den blauen und roten Eisenrohren und den Kindern in Uniform mit Mützen auf dem Kopf und Schlägern in der Hand. An den Berghängen, unter dem dichten gold-, purpur-, oder blutrotgesprenkelten Laubwerk der Bäume, entlang an friedlichen Gärten, Tempeln und Seen, Tälern Wildbächen Flüssen wirbeln unsere Schritte die Blätter auf, und wir lassen uns treiben, uns selbst fern und erschöpft, gereinigt und erholt allein durch die Schönheit, die uns stets beglückt und rettet. Dann wird es Nacht, und die Schilder holen uns ein, Neonreklamen leuchten auf und weisen uns in verwinkelte Gassen, wo Schatten vorüberhuschen, Heldinnen von Murakami, und wo man sich sofort verirrt, glatt verschwinden könnte. Von den silbergrauen Masten fallen Stränge dicker schwarzer Kabel, sie spannen sich über die Straße und bilden von Dach zu Dach ein Knäuel, Mikadostäbe über unseren Köpfen. Dann kehren wir nach Hause zurück und erstellen tief in der Nacht Listen, Verzeichnisse, ordnen unsere Aufzeichnungen, zählen die Dinge zusammen, die wir vergessen, die wir aufgegeben haben, die Herzklopfen oder Kopfzerbrechen machen. Dann dehnt sich die Zeit, und im nächtlichen Gewisper des Regens und der Tiere sinken wir in den Schlaf.« Das war das Letzte gewesen, was ich von ihm gehört hatte, es war jetzt über einen Monat her. Wir haben

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