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Gegenwinde

Gegenwinde

Titel: Gegenwinde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Adam
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Fälle.
    Im Klassenzimmer roch es nach Klebstoff und Filzstiften, Farbe und Papier, die meisten Kinder waren schon mit irgendetwas beschäftigt: Die Jungen formten Kugeln aus Knetmasse, und die Mädchen spielten brav Kaufladen, tonnenweise Obst und bergeweise Gemüse wurden umgeschlagen, bis der Unterricht anfing. Wir waren die Letzten, und Madame Désiles warf uns einen finsteren Blick zu, keine sechs Tage waren wir da, und sie hatte uns schon auf dem Kieker, ich grüßte sie mit der gebotenen Höflichkeit. Sie setzte die Kleine vor ein Blatt zum Ausmalen. Allein an ihrem geblümten Tisch, begann Manon mit spitzen Fingern in den Filzstiften zu kramen, dann starrte sie untätig auf das Bild, Micky, Minni und Pluto auf Skiern schienen sie nicht zu überzeugen.
    »Gefällt es dir nicht?«
    »Nein, nicht besonders.«
    »Ach so? Magst du Micky nicht?«
    »Hm, nein.«
    Die Désiles seufzte entnervt, sie war wohl kurz davor zu implodieren, dazu brauchte es offensichtlich nicht viel bei ihr. Obwohl es in ihrer Rolle doch darauf ankam, ruhig zu bleiben, sollte man meinen. Sie wandte sich von uns ab und dem anderen Ende des Raums zu, zwei kleine Blondköpfe stritten sich um ein neues Feuerwehrauto, ein rotes Blechungetüm mit vielen Wasserschläuchen und einer großen Leiter. Jeder zog an einem Ende. Jetzt geriet die Désiles vollends außer sich, sie stürmte durch den Raum wie eine Furie und fing an zu schreien. Sogar ich zuckte zusammen. Dabei hatte ich noch gar nichts gesehen. Es war unfassbar, wie sie den Jungen am Arm packte, ihn bis zu einem Stuhl schleifte und zwang, sich zu setzen, dabei drohte sie, ihm eine zu knallen. Das Kind war in Tränen aufgelöst, und mir wäre es an seiner Stelle genauso gegangen, glaube ich, es schniefte und brülle sich die Kehle heiser. Alle anderen Kinder schauten betreten zu Boden und warteten, dass es vorbeiging, sie kannten das offenbar. Manon nicht. Sie schmiegte sich an mich.
    »Warum ist die Lehrerin böse?«, fragte sie mich.
    »Ich weiß nicht. Sie muss sehr unglücklich sein, wahrscheinlich deshalb.«
    »Wie die Hexe in Kiriku?«
    »Genau, wie Karaba.«
    Ich stand auf, und die Désiles sah mich empört an, ihre Augen unter den zurückgekämmten und von einem hässlichen silbernen Reif gehaltenen Haaren schleuderten Blitze auf mich. Ich hatte wohl zu laut geredet.
    »Tut mir leid. Meine Kleine kann es nicht ertragen, wenn jemand heftig wird. Oder die Stimme erhebt. Sie macht eine schwere Zeit durch …«, sagte ich im Versuch, die Wellen zu glätten.
    Meine Worte schienen sie nicht zu besänftigen, sie zuckte nur mit den Schultern. Wenn alle ihre Kinder so erzögen wie ich, brauchte man sich nicht zu wundern, dass alles den Bach runterginge, zischte sie und drehte mir den Rücken zu. Ich zog es vor, mich nicht zu einer Antwort herabzulassen, besser ich ging, bevor ich mich noch aufregte. Ich küsste Manon gute fünfzehn Mal.
    »Ich will nicht, dass du gehst«, jammerte sie.
    »Ich geh ja nicht richtig weg. Auch wenn ich gehe, bin ich noch bei dir, das weißt du doch. Ich beschütze dich durch meine Gedanken.«
    »Durch deine Zauberkraft?«, fragte sie.
    »Ja, genau. Durch meine Zauberkraft.«
    Sie küsste mich auch, vertrauensvoll und beruhigt, es brach mir das Herz, sie da zurückzulassen, wo doch die Schaukel fertig war und das Wetter schön und wir den Tag im Garten oder am Strand hätten verbringen können, um unglaubliche Schlösser für ihre Prinzessinnen zu bauen, den Drachen steigen zu lassen oder in aller Ruhe, in unsere Mäntel eingemummt, zu schaukeln.
    Ich kam ausnahmsweise zu früh. Alex war schon unterwegs, er gab die erste Stunde des Tages. Ich konnte ihn mir in dieser Rolle gut vorstellen. Mir gegenüber war er stets der Lehrer gewesen, der Ältere, der seinen lästigen kleinen Bruder mit sich herumschleppte, ihn mit einer Mischung aus Zärtlichkeit und Erbitterung, Wohlwollen und Überdruss ertrug. Nadine bot mir einen Kaffee an, sie lächelte mir über das dampfende Getränk hinweg zu. Sie war von einer unauffälligen, sanften Schönheit, ich hatte nie darauf geachtet, so sehr hatte Sarah meine Aufmerksamkeit und mein Herz in Beschlag genommen, doch auf einmal sprang es mir in die Augen. Ich verbrannte mir die Zunge.
    »Seid ihr gestern gut heimgekommen?«
    »Ja, ja.«
    »Du siehst übel aus. Hast du nicht geschlafen?«
    »Nicht viel.«
    »Nimmst du keine Pillen?«
    »Nein. Ich hab zu viel genommen, es wirkt nicht mehr.«
    Beim Aufstehen zog Nadine an ihrem

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