Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gegenwinde

Gegenwinde

Titel: Gegenwinde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Adam
Vom Netzwerk:
erklären versucht, einem Menschen mit grauen Haaren, dessen Hemd über dem vorstehenden Bauch spannte. Ich sehe noch seinen Gesichtsausdruck, während ich ihm den Zweck meines Besuchs darlegte. Ich schwitzte vor Panik. Spöttisch auf seinem Bleistift kauend hörte er mir zu, ein vages Lächeln der Rührung im Mundwinkel. Sein Büro, grau von den Wänden bis zum Schrank, roch nach Tier und kaltem Tabak. Ich glaube, keiner der Sätze, die ich hervorbrachte, hatte den geringsten Sinn. Schließlich war ich verstummt. Es hatte mich gepeinigt, wie er die Dinge sah. Ihm zufolge verschwanden Dutzende Frauen jeden Tag, ganz unerwartet überkam sie dieses Bedürfnis, das Weite zu suchen, alles hinter sich zu lassen und dem erstbesten Surfer, einem italienischen Schönling oder sonst wem zu folgen. Das passierte andauernd, und Typen wie ich, die sich das Schlimmste vorstellten, während ihre Frau sich in einem südfranzösischen Hotel bespringen ließ, die meldeten sich in Horden bei ihm. Letzten Endes kamen die Frauen immer zurück, meist wegen der Kinder, und am schwierigsten zu verstehen war dabei, wie die Ehemänner ihnen um den Hals fielen, an ihren Haaren schnüffelten und Rotz und Wasser heulten. Ich erinnere mich, dass ich diesen Menschen und seinen fetten Dünkel verfluchte, als ich die Polizeiwache verließ. In den folgenden Monaten hatte er mich noch mehrmals angerufen und keinen Augenblick diesen bevormundenden, vulgären und spöttischen Ton abgelegt. Stets erklärte er mir, es gebe nichts Neues und ich müsse mich entschließen, das Offensichtliche zu akzeptieren, Sarah habe die Kinder und mich im Stich gelassen für irgendeine Idylle in der Sonne oder anderswo, mit einem Kerl, der ihr ihre Jugend zurückgebe und dafür sorge, dass sie sich wieder als »Frau« fühle. An jenem Tag war ich niedergeschlagen und mit völlig abgenagten Nägeln nach Hause gekommen, Manon schlief, Clément starrte mit zugleich leerem und konzentriertem Blick auf den Bildschirm seiner tragbaren PlayStation. Mein Schwiegervater hing auf dem Sofa vor der Glotze und fingerte Popcorn aus einer großen Schüssel. Ich hatte acht Tage verstreichen lassen, bevor ich ihn informierte und zu Hilfe rief. Ich wusste nicht mehr ein noch aus, ich sollte eine erste Drehbuchfassung fürs Fernsehen abgeben, der Produzent trat schon seit einem Monat von einem Fuß auf den anderen und drohte, mir einen Koautor zwischen die Beine zu werfen, und ich verbrachte mein Leben auf dem Kommissariat oder am Telefon, rief nacheinander in allen Krankenhäusern weit und breit an, in den psychiatrischen Kliniken, bei den ältesten, vergessensten, unwahrscheinlichsten Bekannten. Manon hörte nicht auf zu weinen und nach ihrer Mutter zu verlangen, sie schrie und erstickte fast, fiel von einem Heulkrampf in den nächsten Asthmaanfall und weigerte sich, in die Schule zu gehen. Clément wiederum machte den Mund nicht auf und antwortete auf meine Fragen nur noch mit abwesendem und ausweichendem Kopfschütteln.
    Es hatte mich verdammte Mühe gekostet, meinen Schwiegervater zu überzeugen, er sah nicht ein, warum er sich von seiner Wohnung in Saint-Raphaël, von der Sonne und dem Meer losreißen sollte, auf das er von seiner Terrasse aus blickte, einen elfenbeinfarbenen Stetson auf dem Schädel und ein Glas Gin in der Hand. Er verbrachte da unten einen stumpfsinnigen, friedlichen Ruhestand, braungebrannt wie ein altes Krokodil, ein Junggesellenleben im Bademantel, mit Blick auf das leuchtende Blau, mit Segelausflügen, Zigarren und Bridgepartien, Boulespielen im Schatten der Palmen, Cocktails im Sonnenuntergang am Arm knackiger Damen aus Saint-Tropez, in Cafés mit rosa Neonbeleuchtung an der Fassade. Er kleidete sich nur noch in Weiß, ernährte sich ausschließlich von gegrilltem Fisch und tat sogar so, als spräche er den dortigen Akzent. Dieser Mensch hatte mich immer schon schief angesehen, er hatte mich nie gemocht, mir nie das geringste Vertrauen entgegengebracht, und Sarahs Verschwinden machte es nicht besser. Er schielte aus dem Augenwinkel zu mir und dachte laut darüber nach, was ich ihr angetan haben mochte, dass sie einfach so gegangen war, ohne ihre Sachen mitzunehmen, nicht einmal Kleider oder eine Zahnbürste. Dann löste er den Blick kurz vom Bildschirm und sah mich fragend an. Ich begnügte mich damit, zu wiederholen, was der Inspektor gesagt hatte, und er zuckte nur die Schultern. Der Mann habe sicher recht, er scheine sein Geschäft zu kennen und gesunden

Weitere Kostenlose Bücher