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Gegenwinde

Gegenwinde

Titel: Gegenwinde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Adam
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bin dir nicht böse. Mach es einfach nicht wieder. Versprichst du mir das, mein Schatz?«
    Sie sagte ja. Ich bat sie, einen Augenblick zu warten, und kehrte ins Klassenzimmer zurück, die Eltern nahmen ihre Kinder in Empfang und sahen mich schief an. Ich packte die Désiles am Arm und nötigte sie, mir in die Ecke mit der Ritterburg zu folgen, mit dem südlichen Akzent, der sich manchmal aus der Kindheit bei ihr einschlich, keifte sie, ich solle sie loslassen, ich zwang sie, mir in die Augen zu schauen.
    »Hören Sie mir gut zu. Ich weiß, dass Sie einen schwierigen Beruf haben, dass Sie abends bestimmt sehr müde sind, dass Sie kurz vor der Pensionierung stehen und auf nichts anderes warten, aber eines müssen Sie begreifen: Das geht mich alles nichts an. Verstehen Sie? Es geht mir am Arsch vorbei. Ich will es nicht wissen. Also: Wenn das wieder vorkommt, und sei es nur ein einziges Mal, wenn ich höre, dass Sie sie wieder angerührt haben, und sei es nur mit dem kleinen Finger, dann poliere ich Ihnen die Fresse, verstanden?«
    Ich ließ sie stehen, es war totenstill im Raum, alle starrten mich entgeistert an. Ich war nicht besonders stolz auf mich. Manon saß brav auf ihrer Bank unter den Garderobenhaken, als wäre sie vergessen worden. Sie durfte auf meinen Arm klettern, und wir durchquerten das Spielzimmer, zwei Erzieherinnen legten noch die Teppiche aus, bauten die Garage auf, richteten die Werkstatt ein, ein paar Kinder kramten schon zwischen den Puppen. Ich grüßte, und wir verließen den Raum, die Uhr über der Tür zeigte Viertel vor fünf, diese blöde Gans hatte uns aufgehalten.
    Manon weigerte sich zu laufen und klammerte sich an meinen Hals, sie drohte jeden Augenblick einzunicken, schlafend war sie noch schwerer. Mein Rücken war ohnehin schon im Eimer, das würde die Sache nicht besser machen. Vor dem Schultor wartete Clément auf uns, er war nicht allein, seine Lehrerin stand bei ihm, eine Frau um die vierzig, eher groß, das Haar offen, bekleidet mit einem langen roten Samtmantel. Sie lächelte höflich. Das kann nicht wahr sein, dachte ich, der Ärger geht weiter.
    »Ich wollte mit Ihnen über Clément sprechen, Monsieur Anderen.«
    Um uns herum war niemand mehr, nur der leere Hof und die kahlen Bäume, wenige Autos fuhren langsam vorüber, Rauchgeruch hing in der Luft, ohne dass man ausmachen konnte, woher er kam. Der Junge hielt die Augen gesenkt oder er schaute woandershin, ich sah mich in seinem Alter vor mir, ich hasste solche demütigenden Situationen, ich erwiderte, es passe schlecht, ich müsse vor Einbruch der Nacht zu meinem Bruder, und es sei unwahrscheinlich, dass der auf mich warten würde. Plötzlich tat es mir leid, sie schien sich wirklich Sorgen um den Kleinen zu machen, aber ich kannte die Leier und sah nicht ein, warum ich mit ihr reden sollte.
    »Es ist wichtig«, beharrte sie. »Clément ist extrem müde. Die ersten Tage dachte ich, es wäre eine Ausnahme, aber es wird immer schlimmer. Heute Morgen ist er sogar eingeschlafen.«
    Ich tat erstaunt, das verstünde ich wirklich nicht, Clément ginge jeden Abend nach dem Essen ins Bett, so gegen neun. Über der Schule streifte die tiefstehende Sonne die Baumwipfel, vergoldete die Zweige, uns blieb noch eine gute Stunde, aber wir durften nicht trödeln.
    »Entschuldigen Sie. Wir reden ein andermal darüber. Es ist spät, und ich muss unbedingt los.«
    Sie schien ratlos, aber ich konnte ihr nicht helfen, ich hatte einfach nicht mehr die Kraft. Ich gab ihr die Hand, bedankte mich für die Aufmerksamkeit, die sie Clément entgegenbrachte, das Leben sei im Moment kompliziert, aber die Dinge würden wieder in Ordnung kommen. Ich war im Begriff, ihr den Rücken zuzukehren, als sie mich am Arm zurückhielt.
    »Monsieur Anderen, da ist noch etwas. Ihr Sohn hat einen seiner Kameraden gebissen.«
    »Was?«
    »Heute Nachmittag. Er hat einen seiner Kameraden ins Ohr gebissen. Er weigert sich, mir zu sagen, warum. Wir mussten die Eltern informieren, und sie haben vor, Anzeige zu erstatten.«
    »Anzeige erstatten? Gegen wen?«
    »Nun … gegen Sie, nehme ich an.«
    »Was ist denn das für ein Blödsinn? Wegen einer kleinen Rauferei unter Kindern erstattet man doch keine Anzeige.«
    »Mir brauchen Sie das nicht zu sagen. Vielleicht sollten Sie die Eltern anrufen und mit ihnen sprechen. Hier ist ihre Nummer.«
    Sie reichte mir einen zusammengefalteten Zettel, es schien ihr aufrichtig leidzutun.
    »Ich habe erreicht, dass die Schule diesmal keine

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