Geh aus, mein Herz
dritten Klingeln ab. Er meldete sich mit seinem Namen und wartete.
»Hier ist Torstensson, Anders Torstensson. Es ist etwas Furchtbares passiert.«
Wide antwortete nicht, wartete, er hörte, dass dem Mann am anderen Ende der Leitung das Sprechen schwer fiel.
»Es geht um Ulla. Sie ist tot.«
Wide dachte an den kleinen, zurückhaltenden Artikel, den er in der Göteborgs-Posten gelesen hatte. Sie war es. Die Abendzeitungen hatte er nicht gelesen. Er vermutete, dass der Name dort erwähnt worden wäre, wenn die Leute von der Fahndung ihn nicht zurückgehalten hätten. Das konnten sie tun, er selbst hatte es früher auch so gehandhabt.
Torstensson sprach wieder; es klang, als müsse er in seinem Kopf nach Worten suchen, aber Wide hatte nicht den Eindruck, dass sie von Tränen unterbrochen wurden.
»Erschlagen. Sie ist erschlagen worden.«
»Sind Sie sicher, dass sie es ist?«
»Ich weiß es. Ich habe gestern die Nachricht bekommen, die Polizei war hier. Sie hatten alle Papiere dabei.«
»Sie haben sie gesehen, die Frau gesehen?«
»Sagen Sie verdammt noch mal nicht ›die Frau‹. Es ist meine Frau! Und ich soll sie heute in der Leichenhalle wiedersehen. Und ich weiß, dass sie es ist.«
»Sie sollen sie identifizieren?«
»Wenn ich die Kraft habe. Es ist unbeschreiblich, was sie mit meiner Ulla gemacht haben.«
Wide wartete wieder, aber Torstensson sagte nichts mehr.
»Hatten Sie nicht den Wunsch, mich gleich anzurufen, nachdem Sie es erfahren haben?«
»Zuerst schon, aber dann wollte ich nur allein sein. Die … die Polizei hatte jemanden dabei, der mit mir reden wollte, aber ich hab sie alle rausgeworfen. Und heute Nacht bin ich hier durch die Wohnung gewandert.«
»Sie haben mit niemand anders geredet?«
»Es gibt niemand anders.«
Wide dachte an Anders Torstenssons Reaktion, als sie sich bei ihrer Verabredung über eventuelle Freunde des Paares unterhalten hatten.
»Nur mich.« Torstensson sprach wieder. »Ich weiß, dass Sie sagen werden, wir sollten die Identifizierung abwarten, aber sie ist tot. Ich weiß nicht, was ich machen soll. Sie müssen mir helfen.«
Der Auftrag war abgeschlossen, bevor er angefangen hatte. Jemand anders hatte Ulla Torstensson vor Wide gefunden, und mehrere andere hatten sie gesehen, hinterher – wenn sie es war. Während des Gesprächs wirkte ihr Mann zunehmend verstört.
»Sie brauchen jemanden, mit dem Sie reden können, professionelle Hilfe. Menschen, die Ihnen wirklich beistehen können.«
»Darum geht es jetzt nicht. Sie sollen mir helfen, den Dreckskerl zu finden, der das getan hat, Wide. Das müssen Sie!«
»Ich bin kein Polizist mehr.«
»Aber Sie sind doch Detektiv.«
»Das ist etwas anderes. Das ist eine andere Wirklichkeit.«
»Ich weiß sehr wohl, dass dies … die Wirklichkeit ist. Die richtige Wirklichkeit. Aber Sie sind Polizist gewesen, Sie wissen, was man tun muss, wo man suchen muss.«
Wide wusste nicht, ob er es Torstensson in diesem Augenblick erklären sollte, in dem Zustand, in dem sich der Mann befand. Nein. Das würde nicht gehen. Das Beste wäre, ihn zu treffen, ihn zu beruhigen, ihn der richtigen Hilfe zuzuführen.
»Sind Sie in einer halben Stunde noch zu Hause?«
»Ja … ja, aber …«
»Bleiben Sie dort. Ich komme zu Ihnen, dann reden wir weiter.«
Hastig trank er seinen Kaffee aus, biss in eins der Butterbrote, kaute oberflächlich, erhob sich und holte ein Stück Plastikfolie, in die er sein Frühstück einwickelte. Er legte es in den Kühlschrank. Dann ging er ins Bad und putzte sich die Zähne mit einem winzigen Klacks Zahnpasta, den er nur mit Mühe aus der fast leeren Tube quetschte. Er duschte zwei Minuten und nahm den Rest aus der Shampooflasche, die er schon gestern auf den Kopf gestellt hatte. Zum Rasieren hatte er keine Zeit.
Wide ging ins Schlafzimmer, warf seinen abgetragenen Morgenmantel aufs Bett, öffnete eine Kommodenschublade und holte die Boxershorts hervor, die er von seiner Tochter zu Weihnachten bekommen hatte, hellblaue Jeanssocken, die er von seinem Sohn zu Weihnachten bekommen hatte, ein graues T-Shirt, das er aus dem Haus in Fredrikstal mitgebracht hatte, ein braunes weiches Hemd und schwarze Jeans. Das dunkelblaue Jackett ließ er über der Stuhllehne vorm Schreibtisch hängen. Im Flur zog er die schwarzen Boots zum ersten Mal seit einem Monat an, begann, sich darin wohl zu fühlen, warf sich die braune Lederjacke mit einer einzigen Bewegung über und kontrollierte, ob seine Brieftasche in der
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